Bradley Wiggins (Foto: Roth&Roth)
FLANDERN-RUNDFAHRT 2015
Bradley Wiggins (Foto: Roth & Roth; Roth-Foto.de)

Ist Sir Bradley Wiggins gut drauf? Also, jetzt nicht sportlich betrachtet. Denn das scheint nicht in Frage zu stehen. Die Form stimmt wohl. Ob sie reicht um Paris-Roubaix zu gewinnen, steht auf einem anderen Blatt. Aber wie gesagt, darum soll es hier erstmal nicht gehen. Die Frage ist eher, ob der Toursieger von 2012 gute Laune hat. Wiggins wirkt ja in letzter Zeit meist missmutig. Er trägt nun schon eine Weile diesen Vollbart, was seinen Blick noch grimmiger erscheinen lässt. Und wenn die Dinge nicht so laufen, wie geplant, dann schmeißt er auch gerne mal mit seinem Rad um sich. So wie vergangenen Sonntag nach einem Sturz bei der Flandernrundfahrt. Also nochmal: Ist Sir Bradley Wiggins gut drauf?

Ein bisschen Pop

Man weiß es nicht. Was man aber mit Sicherheit sagen kann: Das war nicht immer so. 2007 zum Beispiel als er auf der 6. Etappe der Tour de France 190 Kilometer alleine vorne weg gefahren war, um sieben Kilometer vor dem Ziel eingeholt zu werden, präsentierte sich Wiggins als ziemlich aufgeräumter Typ, der launig von seinem langen Tag als Solist erzählte. Die Frisur erinnerte an Paul Weller und einen Faible für dessen Musik hatte er auch. Wiggins war Radprofi, aber irgendwie auch Pop – das ist im Radsport eher selten.

Schon damals war Wiggins ja nicht irgendwer, sondern ein echter Olympiasieger. 2004 hatte er bei den Spielen in Athen Gold in der Einerverfolgung auf der Bahn gewonnen. Im Juli 2007 war seine gute Laune schnell verflogen. Das Cofidis-Team zog sich von der Tour zurück, nachdem Christian Moreni positiv auf EPO getestet worden war. Er habe die Brocken hinschmeißen und den Job als Radprofi an den Nagel hängen wollen, hat Wiggins damals erzählt. Aus Wut.

Begleiterscheinungen des Ruhms

Hat er dann doch nicht getan. Im Gegenteil, er legte danach erst richtig los. Erst noch einmal auf der Bahn mit weiteren olympischen Goldmedaillen in Einer- und Mannschaftsverfolgung 2008 in Peking. Und dann als Überraschungsvierter bei der Tour 2009, die seinen frappierenden Wandel zum Rundfahrer einläutete, der mit dem Toursieg 2012 endete. Was einer der Hauptgründe dafür ist, dass er jetzt ständig so schlecht gelaunt rüber kommt. Denn der Erfolg bei der Tour hat ihm das Leben vermiest – zumindest sagt er das.

Und warum soll man ihm das nicht glauben? Sicher, finanziell lebt er seit seinem Triumph in Paris und dem Olympiasieg im Einzelzeitfahren in London wenige Tage später komplett unbeschwert. Was ihn aber offensichtlich nervt, sind die Begleiterscheinungen, die der plötzliche Ruhm mit sich brachte. „Mit der Vorstellung, dass ich mich über Nacht in ein Rollenmodell verwandelt haben soll, komme ich nicht so gut klar“, behauptet Wiggins schon in seiner Biographie „Meine Zeit“.

Er war der erste britische Toursieger. Was auf der Insel einen Hype auslöste, der vergleichbar ist mit dem Rummel um Jan Ullrich, als der 1997 als erster Deutscher die Tour gewann. Doch anders als Ullrich, der erst später mit dem Thema Doping konfrontiert wurde, musste Wiggins sich von Beginn an Skepsis gefallen lassen. Schon bei seinen ersten Pressekonferenzen im Gelben Trikot musste er sich mit Verdächtigungen Auseinandersetzung, die er zunächst rüde zurückwies, um später in einem Gastbeitrag für den „Guardian“ ausführlich zu erläutern, warum er niemals dopen würde.

Typisches Muster

Er hasste es der Toursieger zu sein, weil der Preis ihm zu hoch erschien. Und die Sache wurde nicht besser, als die US-Anti-Doping-Agentur kurz nach seinem Doppeltriumph in Paris und London, Lance Armstrong lebenslang sperrte. Wiggins stand nun für viele einer Reihe mit dem Texaner, allein wegen des Titels. Und nicht er alleine war der Leidtragende: Seine beiden Kinder wurden in der Schule gemobbt, so dass sich Wiggins und seine Frau Cath genötigt sahen, einen Schulwechsel zu veranlassen. Sportlich geriet das Jahr nach Gelb und Gold zum Disaster. Den Giro d’Italia – sein erklärter Saisonhöhepunkt für 2013 – musste er entnervt und verletzt verlassen. In Italien begann er auch damit, Räder wegzuschmeißen.

Die sportliche Krise passte allerdings auch perfekt in ein Muster, das sich wie ein roter Faden durch Wiggins’ Karriere zieht: Nach seiner ersten olympischen Goldmedaille auf der Bahn bei den Spielen 2004 in Athen verfiel er im Winter darauf zeitweilig dem Suff. Auf den überraschenden vierten Platz bei der Tour 2009 folgte ein verkorkstes erstes Jahr beim Team Sky, das ihm am Ende beinahe den Job gekostet hätte.

Erst nachdem Christopher Froome als zweiter Brite ein Jahr nach Wiggins ebenfalls die Tour gewann, begann dieser seinen Frieden zu machen mit seinem Leben zwischen Celebrity und Angeklagtem. Seine öffentliche Laune hat das zwar nicht wesentlich gebessert, aber neue Ziele hat er sich seitdem gesetzt. Genau genommen noch zwei: Eine letzte Olympiamedaille auf der Bahn bei den Spielen in Rio 2016. Und ein Sieg in seinem letzten Straßenrennen als Profi.

Das findet am Sonntag statt und heißt Paris-Roubaix. Im vergangenen Jahr erreichte er das Velodrom in Roubaix als Neunter in der Gruppe der Favoriten, die sich von Sieger Niki Terpstra hatten überrumpeln lassen. Wiggins gehört am Sonntag zu den Sieganwärtern – auch weil er meist erreicht hat, was er sich vorgenommen hat, wenn er vollkommen fokussiert war. Das ist er wohl auch heute. Und wer weiß – vielleicht erleben wir im Falle des Falles ja sogar mal wieder einen gut gelaunten Sir Bradley Wiggins.