Es war ein seltsamer Tag im Radisson Blue Royal Hotel, exakt einen Kilometer vom Ziel der WM-Straßenrennen in Bergen entfernt, in dem am Donnerstag der Kongress des Radsport-Weltverbandes UCI sowie die Wahlen seines Präsidenten stattfanden. Zwar hat Brian Cookson, der sich 2013 gegen Pat McQuiad durchsetzte, zuletzt viel Kritik gleich aus mehreren Ecken einstecken müssen: Die World-Tour-Reform? – Kaum nachvollziehbar und unübersichtlich. Entwicklung des Frauen-Radsports? – Kosmetische Veränderungen und mehr PR als konkrete Taten. Sicherheit der Fahrer? – „Es wurde nullkomagarnichts“ gemacht, wie der viermalige Zeitfahrweltmeister Tony Martin zuletzt meinte.
Und doch schien um neun Uhr morgens, als der 66-jährige Brite die Delegierten begrüßte, als würde Brian Cookson der sichere Sieger werden. Seine Jahresrede als UCI-Präsident klang souverän und optimistisch, alle Abstimmungen gingen nach Plan – und in seiner Wahlrede wurde Cookson sogar emotional, als er nach dem Tod seines Kindheitsidols Tom Simpsons im Sinne des Anti-Doping-Kampfes erinnerte. Vor allem für Außenstehende lief alles nach Plan des Briten, der stets betonte: „Wir haben vieles in diesen vier Jahren erreicht, aber es geht noch mehr. Der Weg, den wir vor vier Jahren begonnen haben, soll fortgeführt werden“.
Doch als der Herausforderer David Lappartient seine 15-minütige Rede begann, stand das Ergebnis längst fest. Und zwar nicht – wie von vielen erwartet – zu Gunsten von Brian Cookson, sondern von jenem David Lappartient, der zwar erst 44 Jahre alt ist, und doch längst da ist – auch wenn unbemerkt. Bereits 2009 stieg der Franzose in die große Radsport-Politik ein, als er zum Präsidenten des französischen Verbandes FFC wurde. 2013 wurde er nicht als FFC-Präsident wiedergewählt, sondern vom europäischen Verband UEC zum Präsidenten ernannt. Außerdem bekam Lappartient den Posten des Vize-Präsidenten der UCI – und wurde ebenfalls Chef der UCI-Kommission für Profi-Radsport. Und nun plötzlich: Der neue UCI-Präsident. Doch wie ist es dazu gekommen?
Die Grundlage für den Sieg Lappartients legten die europäische Delegierten, die 15 von 45 Stimmen beim Kongress stellten. Zwar hatte der Franzose als UEC-Chef in der Theorie sowieso einen Vorteil bei den Europäern, erwartet wurde allerdings, dass Lappartient und Cookson ungefähr die gleiche Anzahl der Europa-Stimmen holen werden. Der Brite sollte sich dann den Sieg durch Stimmen anderer Kontinente sichern. Doch der Plan ging nach hinten los. Cookson konnte keine einzige Stimme aus Europa holen – und sonst gingen nur acht Stimmen an ihn, was viel zu wenig war, um David Lappartient zu schlagen. Auch im Kongressaal hat das hohe Endergebnis für den Franzosen viele überrascht, aber eben nicht die Delegierten, die abgestimmt haben. Erstaunlicherweise war Cookson seine Aussichtslosigkeit von vorne nicht bekannt, was gleich mehrere Kongressteilnehmer in Privatgesprächen bestätigten. Manche sprachen sogar von einer „stillen Revolution“. Dass die deutliche Niederlage für Cookson ein Schock war, konnte man auch durch seinen Gesichtsausdruck nach der Verkündung des Ergebnisses merken.
Lappartients Meisterstück ist wohl vor allem dem Russen Igor Makarow zu verdanken. Obwohl der Oligarch Makarow seine Vormachtstellung im russischen Radsport eingebüßt hat, bleibt er die wichtigste Figur des europäischen Verbandes UEC. Dieser hat vor allem durch die finanzielle Unterstützung des Russen in den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Und hier wird es ironisch: Beim Kongress in Florenz vor vier Jahren war es Makarow, der Cookson mithalf, den umstrittenen Präsidenten McQuiad zu stürzen. Und nun war es offenbar wieder Makarow, der unzufrieden war, dass Europa – trotz des unbestrittenen Status als Hauptmarkt des Radsports – unter Cookson mit jedem Jahr weniger und weniger Mitspracherecht hatte. Damit war man beim UEC offensichtlich ganz und gar nicht einverstanden.
Dass Europa nun unter der Präsidentschaft von Lappartient wieder eine wichtigere Rolle spielen wird, steht fest. Darüber hinaus gibt es nach der Wahl am Donnerstag viele Fragen, die komplett offen bleiben. Unter anderem hat Lappartient – was als Chef der Kommission für Profi-Radsport nicht überraschend ist – eine große Unterstützung der World-Tour-Teams erhalten. Bei diese will sich der Franzose unter anderem durch die Abschaffung des WM-Teamzeitfahrens ab 2020 bedanken. Doch ob diese Allianz lange bestehen wird, ist fraglich. Denn Lappartient wurde auch von ASO unterstützt, so hat unter anderem der Direktor der Tour de France Christian Prudhomme nach der Wahl sichtlich zufrieden lange Interviews gegeben. Die Teams werden wohl erwarten, dass Lappartient auch in Fragen der Verteilung der Fernsehgelder die Position der Mannschaften annimmt. Damit würde der Franzose aber in Schwierigkeiten mit der ASO geraten. Das Konfliktpotenzial ist auf jeden Fall da – und keiner weiß so richtig, was Lappartient in seinem neuen Amt tatsächlich machen wird. Spannend werden die nächsten vier Jahre aber auf jeden Fall.