Fans mit Maske – Tour de France 2022

Über den Stellenwert der Tour de France im fragilen ökonomischen System des Profiradsports muss man nicht viele Worte verlieren. „Wir generieren da 70 Prozent unseres jährlichen Werbewertes“, sagte Bora-hansgrohe-Teamchef Ralph Denk im vergangenen Jahr. Die Tour ist nicht nur das wichtigste Rennen, sondern für die meisten Teams überlebensnotwendig. Selbst im Corona-Jahr 2020 gelang es, die Tour de France auszutragen. Verzögert zwar, aber erfolgreich.

Wenige Tage vor dem Start der 109. Auflage in Dänemark wächst erneut die Corona-Angst im Peloton. Bei der Tour de Suisse, dem letzten großen Etappenrennen vor der Tour, ging eine Covid-Welle durch das Peloton. Es erwischte sehr viele Fahrer, darunter auch Leader Alexandr Vlasov, der im Gelben Trikot das Rennen verlassen musste. Die Teams UAE, Bahrain Victorious und Alpecin-Fenix zogen sich komplett vom Rennen zurück. Auch nach dem Rennen wurden noch weitere Fahrer positiv getestet.

Wer wird fit, wer fällt aus?

Die Teams haben aktuell große Probleme, die Kader für die Tour zu nominieren. Werden die erkrankten Fahrer rechtzeitig fit? Reicht die Form anschließend für die Tour? Viel Zeit bleibt nicht, eventuell muss man flexibel bleiben. „Wir werden das Starterfeld der Tour de France wohl erst am Morgen der ersten Etappe kennen“, sagte ein Teammanager gegenüber CyclingMagazine. Das war keine zynische Bemerkung, sondern Ausdruck der Situation, in der man sich aktuell befindet.

Doch so schwierig die Nominierung fallen mag, die größte Sorge ist eine andere. „Ich mache mir weniger Sorgen darum, unser Team gesund an den Start zu bringen, vielmehr geht es darum, was während der drei Wochen passiert“, so der Teammanager. Das Schreckensszenario ist klar: Eine Coronawelle wie bei der Tour de Suisse.

Tests bei der Tour, bei anderen Rennen nicht

Dass die Zahl der positiv getesteten Sportler steigt, ist wenig verwunderlich, schaut man sich die allgemeine Entwicklung der Fallzahlen an. Beschränkungen sind gefallen, auch was die Rennen betrifft. Gab es in der Vergangenheit noch strenge Hygienekonzepte und Auflagen bei den Rennen, sind viele davon verschwunden. Bei der Tour de France wird es vor dem Start und an den Ruhetagen PCR-Tests geben. Bei der Deutschen Meisterschaft beispielsweise gelten die allgemeinen Regeln des Landes, ein spezielles Hygienekonzept gibt es nicht. Verpflichtende Tests für die Starter gibt es offenbar ebenso nicht.

Im privaten Bereich können die Sportler versuchen, sich schützen. Abstand, Maske, Kontakte einschränken. Im Rennen geht das nicht. Kein Wunder, dass es bei vielen Teams Gedanken gab, das Rennprogramm der Fahrer vor dem Highlight Tour de France einzuschränken. Denn genau dort steckt der große Unterschied zur allgemeinen Bevölkerung. Steckt man sich an, fällt man voraussichtlich ein paar Tage aus, ehe man zurück am Arbeitsplatz ist. Für einen Profiradsportler im Juli nicht zur Arbeit zu können, kann weitaus größere Folgen haben, als für einen Sachbearbeiter, Fliesenleger oder Journalisten. Es kann der Job dran hängen, vielleicht sogar noch ein Haufen weiterer.

Was kann man tun?

Viel machen können die Teams nicht. „Ich appelliere an die Eigenverantwortung der Teams. Hier ist Vernunft gefragt. Zudem sind tägliche Tests sicher wünschenswert„, sagte Matthias Baumann, Präsident der Medical Commission der UCI. Eine schnelle Anpassung der allgemeinen Regeln des Weltverbandes ist nicht möglich, die Veranstalter müssten reagieren. „Neue Regeln über die UCI aufzusetzen, braucht schon ein paar Tage. In den Kommissionen sitzen beispielsweise auch Ärzte der Teams, das benötigt Abstimmung“, so Baumann. „Mit Xavier Bigard haben wir einen Mann bei der UCI, der das Thema genau verfolgt, auch die Studien liest und dann die Prozesse zur Anpassung der Regeln anschiebt“, so Baumann.

Aktuell sei eine Anpassung der Regeln auf dem Weg, durchläuft den Prozess und könnte bald greifen. Vor der Tour aber wohl nicht mehr. „Ich bin sicher kein Schwarzmaler, aber es kann aktuell überall passieren. Ausschließen kann man eine Infektion nicht, nur das Risiko minimieren“, so Baumann. Genau das passiert nun vielerorts.

Abgesagte Buchvorstellung, Vorsicht und Tests

Der Däne Michael Morkov hat den Empfang zur Vorstellung seines Buches abgesagt, aus Vorsicht. Viele Teams haben die Vorsichtsmaßnahmen wieder hochgefahren. Masken auf, Familienfeiern meiden, Abstand halten. So gut es eben geht. Im Frühjahr gab es Profis, die ihre Kinder aus der Kita nahmen, oder daheim auszogen, um den Start bei den großen Klassikern nicht zu gefährden. Vermutlich werden einige Fahrer aktuell ähnliche Maßnahmen ergreifen.

Die große Frage wird mit Blick auf die Tour de France sein, wie sehr es gelingt die „Sportler-Blase“ möglichst coronafrei zu halten. Das Rad zurückdrehen, wieder die strengen Maßnahmen von 2020 einführen, scheint in der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung unmöglich. Eine normale Tour, mit Journalisten und Zuschauern an den Bussen, ohne Abstand und Maske, lässt wohl jedes Blasen-Konzept scheitern. Man darf gespannt sein, was bei der Tour de France passieren wird.

Eine einfache Lösung gibt es nicht, wie so oft. Die Teams agieren unterschiedlich. Zu wünschen ist, dass man verantwortungsvoll miteinander umgeht, den möglichen Wünschen der Fahrer und Teams respektvoll begegnet. Der Radsport lebt von der Nähe zwischen Fans und Fahrern. Dem Erlebnis, der Gemeinschaft. Viele Fahrer sprachen von Gänsehautmomenten, als im Frühjahr in Flandern endlich wieder die Zuschauer da waren. Es war zu sehen, wie sie es genossen haben. Doch nun hat sich in das Gefühl mit der aktuellen Entwicklung der Infektionszahlen auch Angst gemischt. Angst vor einer „Corona Tour“, analog zur Tour de Suisse. Vorhersagen kann wohl niemand ganz genau, in welche Richtung es sich entwickelt. Die Hoffnung, dass die Welle abebbt ist sicher da, eine Garantie dafür gibt es nicht.

Was die aktuelle Situation, auch mit den fielen aktuellen Ausfällen, sportlich für die Tour de France bedeutet, wird sich zeigen. So komisch es klingt, aber vielleicht sind die Fahrer im Vorteil, die erst kürzlich eine Infektion durchgemacht haben, und es rechtzeitig in ansprechender Form an den Start der Tour schaffen. Der größte Wunsch der Fans und Organisation wird sein, dass möglichst alle Fahrer gesund Paris erreichen. Dass die Entscheidung sportlich fällt, und nicht der Mann in Gelb nach positivem Coronatest ausscheidet, wie zuletzt bei der Tour de Suisse.