Profil der Flandern-Rundfahrt 2023

Die Ronde van Vlaanderen ist das absolute Highlight des flämischen Frühjahrs. Das Radsport-Monument ist mit Abstand das wichtigste Rennen in Belgien und für die radsportverrückten Flamen Nationalheiligtum und ein riesiges Volksfest. Schon in den Tagen vor dem Rennen ist die Ronde omnipräsent. Die Medien sind voll mit wichtigen und unwichtigen Geschichten rund um das Rennen. Die Fans fiebern dem Sonntag entgegen und pilgern dann zu tausenden an die Strecke. Jahr für Jahr verwandeln die beeindruckenden Massen die kleinen Sträßchen in den flämischen Ardennen in Sportarenen, sorgen für eine großartige Stimmung und machen das Rennen auch für die Profis zu einem einzigartigen Erlebnis.

110 Jahre alt ist das Rennen inzwischen und seine Bedeutung scheint immer noch weiter zu wachsen. Es ist mit 273 Kilometern Länge, 19 Anstiegen und sechs Pflaster-Abschnitten ein knüpperlhartes Rennen, bei dem nur eine Handvoll Fahrer für den Sieg in Frage kommt. In diesem Jahr wird ein spannender Dreikampf zwischen Wout van Aert, Mathieu van der Poel und Tadej Pogacar erwartet. Aber die Konkurrenz wird sich nicht kampflos ergeben und versuchen, das Trio irgendwie abzuschütteln.


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Start in Brügge, keine Muur

Im Vergleich zum vergangenen Jahr gibt es eine bedeutende Änderung – der Start der Ronde ist zurück in Brügge. Viele Jahr fiel der Startschuss in Brügge, zuletzt hatte sich aber Antwerpen den Ronde-Start gesichert. Künftig sollen sich Brügge und Antwerpen jährlich abwechseln.

Nicht im Programm ist die Muur von Geraardsbergen. Viele Jahre Schlüsselstelle und Wahrzeichen der Flandern-Rundfahrt, hatte sie nach der großen Strecken-Veränderung 2012 zunächst an Bedeutung verloren, ist nun komplett aus dem Parcours verschwunden. Im Covid-bedingten vollen Rad-Herbst 2020 hatte man die Ronde-Strecke verkürzt und so die Mauer von Geraardsbergen aus dem Plan genommen. Der Bürgermeister der Gemeinde reagierte bestürzt und es wird vermutete, dass die neue Streckenführung auch mit der mangelnden Zahlungsbereitschaft der Gemeinde Geraardsbergen zusammenhängt.


Die Strecke

Durch den Start in Brügge hat sich die Strecke im Vergleich zum vergangenen Jahr natürlich verändert. Das betrifft aber vor allem die ersten 100 Kilometer, denn was den zweiten Teil des Parcours betrifft, ist er sehr ähnlich der vergangenen Austragung. Die größte Veränderung in der zweiten Rennhälfte ist, dass in diesem Jahr der Eikenberg zurück im Parcours ist.

Nach dem Start in Brügge geht es zunächst flach gen Oudenaarde. Der erste Pflasterabschnitt ist der Huisepontweg, er ist nach rund 110 Kilometern erreicht. Wenig später steht mit dem Korte Ast der erste Helling an. Dann geht es durch den Zielort Oudenaarde und anschließend in das Herz der flämischen Ardennen.

Der Oude Kwaremont ist nach 136 Kilometern das erste Mal erreicht und dann geht es auf drei Schleifen durch die flämischen Ardennen. Der Oude Kwaremont wird insgesamt drei Mal erklommen und ist stets eine der Schlüsselstellen des Rennens. Vor allem die letzten beiden Auffahrten im Finale des Rennens sind meist für den Ausgang von großer Bedeutung.

Nach der erste Passage des Kwaremont geht es auf eine große Schleife, in der es zunächst über Kortekeer, Eikenberg, Holleweg, Wolvenberg, Kerkgate und Jagerij zum Molenberg geht. Meist wird in der Anfahrt zum schmalen Molenberg hart um Positionen gekämpft, das Feld zerfällt bergan in Stücke. Es ist von hier mit rund 100 Kilometern noch recht weit zum Ziel, doch wer die Konkurrenz früh unter Druck setzten will, kann hier bereits in den Angriffsmodus schalten.

Anschließend geht es über Berendries, Valkenberg, Berg Ten Houte und Kanarieberg zurück in Richtung Oude Kwaremont. Rund 55 Kilometer vor dem Ziel wird dieser dann wieder erklommen und das Feld geht auf die zweite Schleife. Diese hat es in sich! Denn es geht nach dem Kwaremont direkt über den supersteilen Paterberg und anschließend zum gefürchteten Koppenberg. Hier wird das große Finale spätestens eingeläutet.

Über Steenbeekdries und Taaienberg geht es zur Hotond, wo man meist sehr gut erkennen kann, wie die Kräfteverhältnisse der Fahrer an der Spitze sind. Dann geht es hinab zum Fuße des Oude Kwaremont wo die letzte kleine Schleife über Oude Kwaremont und Paterberg das Berg-Finale des Rennens bilden. Rund 13 Kilometer sind es nach dem Paterberg bis ins Ziel nach Oudenaarde.

Die Favoriten

Es sind vermutlich die „Großen Drei“, die am Ende den Sieg unter sich ausmachen. Mathieu van Poel, Tadej Pogacar und Wout van Aert haben in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie für dieses Rennen die stärksten Fahrer sind. Van der Poel hat das Rennen bereits zwei Mal gewonnen, könnte mit dem dritten Erfolg in die Reihe der erfolgreichsten Fahrer vorstoßen. Der Niederländer ist in bestechender Form, war bei Mailand-Sanremo erfolgreich und beim E3-Prijs auf Augenhöhe mit Pogacar und Van Aert. Mathieu van der Poel ist extrem antrittsstark, auch am Ende eines langen Rennens. Seine Explosivität ist im Vergleich zu den anderen beiden Top-Favoriten seine große Stärke.

Tadej Pogacar war im vergangenen Jahr nah dran, machte im Finale dann aber Fehler und landete nicht auf dem Podium. Der Slowene ist extrem stark, vor allem bergauf. Er wird dies ausspielen wollen, seine Gegner bereits früh unter Druck setzen und sie bergauf ans Limit führen. Doch will er die Ronde gewinnen, müsste er Van der Poel und Van Aert besser abhängen, denn ein Sprint ist nicht zu seinem Vorteil.

Wout van Aert steht als Belgier natürlich besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Sein Jumbo-Visma-Team ist bislang bei den Klassikern die mit Abstand stärkste Mannschaft und klar in der Favoritenrolle. Sie werden versuchen, die Breite des Kaders auszunutzen und taktisch daraus einen Vorteil zu ziehen. Van Aert hat den E3-Prijs gegen Pogacar und Van der Poel zwar gewonnen, doch er hatte am Oude Kwaremont Probleme zu folgen. Die Ronde ist um einiges schwerer, da wird Van Aert keine Schwächen offenbaren dürfen, sonst hängen die anderen beiden den Belgier ab. Oder versuchen es zumindest. Für Van Aert spricht sein starkes Team und seine Fähigkeit, lange Sprints durchziehen zu können. Am Ende eines solch schweren Rennens ist die „reine Sprintfähigkeit“ aber meist weniger ausschlaggebend, als die verbliebene Energiereserve. Mit Christophe Laporte hat Jumbo-Visma einen Co-Leader, den man versuchen wird, taktisch ideal einzusetzen. Er könnte offensiv agieren, die Konkurrenz so zum Reagieren zwingen, während Van Aert Kräfte schont. In der Theorie sind solche Taktiken allerdings viel einfacher zu formulieren, als im Rennen tatsächlich anzuwenden.

Wer von diesen drei Herren die besten Chancen auf den Sieg hat, kann man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und dabei zu verschiedenen Ansichten kommen. Vermutlich wird die Tagesform, das taktische Geschick, die Stärke des Teams und auch ein wenig Glück über den Ausgang entscheiden.

Der Rest

Das restliche Starterfeld wird dem Trio aber sicher keinen Geleitschutz geben – jeder wird versuchen, das Beste für sich herauszuholen. Zuletzt haben einige Fahrer gezeigt, dass sie für die Ronde zum erweiterten Kreis der Favoriten zählen. Beispielsweise Matej Mohoric. Oder auch das Movistar-Duo Matteo Jorgenson und Ivan Cortina. Stefan Küng und seinen Groupama-FDJ-Teamkollegen Valentin Madouas sollte man auch auf dem Zettel haben.

Trek-Segagafredo geht mit Mads Pedersen ins Rennen, der endschnell ist und zuletzt gute Resultate lieferte. An den Anstiegen wird es für den Ex-Weltmeister allerdings schwer, Fahrern wie Pogacar zu folgen. Sein Teamkollege Jasper Stuyven konnte sich in diesem Frühjahr noch nicht so richtig in Szene setzen, ganz abschreiben sollte man den Belgier aber auch nicht. Mit Alex Kirsch & Co hat man ein starkes Team am Start.

Bei Ineos Grenadiers sind einige starke Fahrer am Start. Nervaez, Turner, Sheffield, Rowe, Swift …. doch ausgerechnet Kapitän Tom Pidcock scheint nach seinem Sturz bei Tirreno-Adriatico noch nicht wieder wie 100% zu sein. Das wäre aber nötig, will der Brite bei den Allerbesten mitfahren.

Auch EF Education-EasyPost pärsentierte sich zuletzt stark, vor allem Neilson Powless liefert eine extrem starke Saison ab. Wie er sich bei der Ronde durchsetzen kann, wird man abwarten müssen. Ihm fehlt vielleicht noch etwas die Erfahrung für dieses spezielle Rennen. Ex-Sieger Alberto Bettiol musste seinen Start krankheitsbedingt absagen.

Was Biniam Girmay zeigen kann, muss man abwarten. Bislang läuft es für den Gent-Wevelgem-Champion von 2022 nicht so richtig rund. Michael Matthews kommt aus einer Covid-Pause zurück, er wird wohl auch noch nicht in Top-Form sein. Bei Bora-hansgrohe dürften die Hoffnungen auf Nils Politt ruhen. Damit der Deutsche um das Podium mitfahren kann, bräuchte er neben Diamantenbeinen aber wohl auch eine kräftige Portion Rennglück.

John Degenkolb ist der Leader bei DSM. Der Roubaix-Sieger von 2015 war bei der Ronde schon vier Mal in den Top10. Für Degenkolb ist die Flandern-Rundfahrt mit den vielen Hellingen wohl etwas zu schwer, doch der inzwischen 34-Jährige präsentierte sich zuletzt in sehr guter Form, agierte sehr offensiv und war auch im Finale von Dwars Door Vlaanderen viel zu sehen. Bei einem solch erfahrenen Mann dieser Klasse ist das Podium nicht generell ausgeschlossen, doch auch abgesehen vom „Über-Trio“ sind andere Fahrer im Rennen, denen auf diesem Kurs mehr zuzutrauen ist.

Gehörig unter Druck dürfte das belgische Team Soudal-QuickStep stehen. Jahrelang dominierte man die heimischen Klassiker, in diesem Jahr fährt man nahezu komplett hinterher. Mit Kasper Asgreen hat man einen Ex-Ronde-Sieger dabei, doch der Däne ist nach schlimmem Sturz und Erschöpfungssyndrom im vergangenen Jahr wohl noch nicht wieder in der Verfassung, um den Sieg zu fahren. Die Hoffnungen ruhen wohl vor allem auf Julian Alaphilippe, der allerdings auch nicht in Top-Form zu sein scheint. Yves Lampaert wäre vielleicht gemeinsam mit Davide Ballerini eine offensive Option.

***** Mathieu van der Poel
**** Wout van Aert, Tadej Pogacar
*** Mads Pedersen, Matej Mohoric, Christophe Laporte
** Stefan Küng, Valentin Madouas, Neilson Powless, Julian Alaphilippe, Sören Kragh Andersen
* Tom Pidcock, Tiesj Benoot, Kasper Asgreen, Matteo Jorgenson, Ivan Cortina, Dylan Teuns, Sep Vanmarcke

Start: 10 Uhr
Ziel: ~17 Uhr

Die Startliste

Data powered by FirstCycling.com


Das Rennen der Frauen

Die Frauen starten ihr Rennen in Oudenaarde. Start ist 13:30 Uhr auf dem Markt, dann geht es auf die 156,6 Kilometer lange Strecke. Fünf Pflaster-Abschnitte und 13 Hellinge sind auf dem Weg zum Ziel zu absolvieren. Es geht in diesem Jahr auch über den Koppenberg und im Finale sind Oude Kwaremont und Paterberg zu meistern. Im Ziel sind die dann etwa 17:30 Uhr.
Infos: hier


Johan Museeuw (Belgien) gewinnt die Flandern-Rundfahrt 1989 vor Frans Maassen (Team Buckler)

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