Die Saison 2020 startete noch ganz normal in Down Under. Doch bereits im März drückte die Radsportwelt die Stopptaste. So schnell sich das Corona-Virus ausbreitete, so heftig waren die Folgen. An eine normale Rad-Saison war nicht mehr zu denken, doch im Sommer sollten die Räder wieder rollen.

Die medizinische Kommission der UCI erarbeitete ein Corona-Protokoll um nach der Zwangspause wieder Radrennen austragen zu können. Blasensystem, Tests und eine ganze Reihe organisatorischer Vorgaben wurden Teams und Veranstaltern empfohlen. Die Saison 2020 konnte zumindest für die Profis in großen Teilen absolviert werden, auch wenn einige Rennen abgesagt wurden. Alle drei Grand Tours, vier Monumente und sogar die WM fand statt.

BDR-Arzt Matthias Baumann gehört zur Medical Commission der UCI und hat für den deutschen Radsport viele Corona-Konzepte erstellt. Er betreute die deutsche Nationalmannschaft und war bei vielen Veranstaltungen in Sachen Corona-Prävention involviert. Auch für ihn war es ein aufregendes Jahr.

„Insgesamt, finde ich, hat der Radsport das ganz gut gemacht. Wenn wir schauen, wie viele Wettkämpfe stattgefunden haben – das gab es nur in ganz, ganz wenigen Sportarten. Rückblickend war das sicher mutig, aber auch sehr gut für den Radsport“, sagt Baumann und schiebt sofort nach, dass ihm die Bahnradsportler leid tun, weil sie nur sehr wenige Wettkämpfe durchführen konnten.

Bauchweh vor dem Neustart

„Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass unser Konzept insgesamt funktioniert hat“, sagt Baumann. „Natürlich war es eine sehr schwierige Situation, weil wir ja wenig über das Virus wussten, und noch immer lernt man dazu. Auch wenn alle Beteiligten das Corona-Konzept mitgetragen haben, blieb beim Neustart im Sommer ein wenig Bauchweh. Es gab vereinzelt Krankheitsfälle, aber glücklicherweise keine schweren Verläufe„, sagt Baumann.

Im Freiluft-Radsport scheint die Ansteckungsgefahr recht gering. „Natürlich wissen wir nun deutlich mehr über dieses Virus, als noch vor 3-4 Monaten, aber längst ist nicht alles bekannt. Es wird weiter geforscht und immer mehr an Informationen zusammengetragen. Ich denke schon, dass man sagen kann, dass die Ansteckungsgefahr beim Radfahren recht gering ist. In geschlossen Räumen ist das, gerade in Sachen Aerosole, eine ganz andere Sache. Aber der Wind beim Radfahren ist quasi ein dauerhafter Lüfter, hier mischt sich die Luft“, so Baumann.

„Natürlich kann man Infektionen in den Rennen nicht zu 100% ausschließen, gerade im Peloton wird auch mal gespuckt und geschrien, aber in einer normalen Rennsituation ist die Dosis beim Atmen sehr gering. Das ist aktuell natürlich weniger wissenschaftlich, sonder eher die Erkenntnis aus der Erfahrung während dieser Saison, aber da werden wir in Zukunft noch genaue Studien bekommen und immer genauer wissen, warum dies so ist“, erklärt Baumann.

Während man anfangs Radsportlern zu 20 Metern Abstand riet, um nicht die Aerosole des Vordermanns einzuatmen, scheint sich die Ansteckungsgefahr an frischer Luft und beim Radfahren in Grenzen zu halten. So gab es durchaus einige Etappen, wo mit großer Wahrscheinlichkeit positive und infektiöse Fahrer im Peloton waren, man aber kein extremes Infektionsgeschehen beobachten konnte. Auch gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass sich beim Giro d’Italia im Rennen Fahrer ansteckten. Die Bemühungen einer Infektion vorzubeugen, konzentrierten sich vor allem auf die Zeit vor und nach den Rennen.

„Dass man im Radsport so konsequent war, was die Einteilung in Blasen, das Tragen von Masken und die Tests betrifft, hat sicher geholfen. Klar, auch Tests geben keine hundertprozentige Sicherheit, aber sie sind viel besser als nichts zu tun. Dass Sportler auch bei Siegerehrungen mit Abstand und dann auch noch mit Maske auf dem Podium stehen, ist aus meiner Sicht nicht unbedingt nötig, aber eben auch ein Zeichen. Der Radsport insgesamt hat gezeigt, dass man das Beste aus der Situation machen will und bereit ist, dafür alles nötige zu tun – diesen Kampfgeist des Sports insgesamt fand ich sehr bemerkenswert“.

Angst vor Langzeitschäden bei Sportler

Trotz aller Maßnahmen haben sich Radsportler infiziert und wurden krank. Die Angst vor Langzeitschäden, die möglicherweise das Ende der Karriere bedeuten könnten, schwingt stets mit. „Ich habe nur Informationen von Sportlern des DSOB, da ist mir aktuell kein Fall bekannt, bei dem man mit Langzeitschäden rechnet“, sagt Baumann, fügt aber hinzu, dass dies natürlich eine Sorge bleibe. Es gehe darum, mögliche Langzeitfolgen frühzeitig zu erkennen und man arbeite gewissenhaft daran, das Risiko zu minimieren.

„Gleich zu Beginn der Pandemie hat Andreas Nieß von der Uni Tübingen eine Corona-Studie angeschoben und alle Athleten gebeten, sich daran zu beteiligen. Es geht konkret auch darum, dass Sportler nach einer Infektion den Wiedereinstieg in den Sport bestmöglich schaffen. Es entstand das Protokoll ‚Return to Sport‚. Man fürchtet beispielsweise Herzmuskelentzündungen in Folge der Erkrankung – hier gilt es genau zu beobachten und den Wiedereinstieg möglichst risikofrei zu gestalten. Logischerweise haben wir noch keine Langzeitstudien“, so Baumann.

Impfen ist kein Gamechanger

In einigen Ländern wird bereits geimpft, das Team UAE plant offenbar auch, ihre Athleten vor Saisonstart zu impfen. Für den Profi-Radsport wird dies aber eher auf längere Sicht einen Schritt aus dem Corona-Modus bedeuten. „Es ist toll, dass es so schnell einen Impfstoff gibt. Allerdings müssen wir da auch genau draufschauen und abwarten. Gegen eine Grippe kann man sich auch impfen, aber dennoch krank werden. Ein Virus kann sich jederzeit ändern und das muss man beobachten. Zudem ist es auch möglich, dass man selbst geimpft ist, nicht krank wird, aber dennoch das Virus weiterreicht – ich denke nicht, dass wir jetzt ganz schnell zum alten Radsport zurückkehren können und in ein paar Monaten wieder ohne Kontaktbeschränkung Radrennen mit Massenpublikum sehen“.

Konzept für 2021

Das Bestreben im Profiradsport ist, die Saison 2021 möglichst normal durchzuführen. Nicht nur Veranstalter, Teams und Behörden arbeiten an Plänen, auch bei der UCI wird weiter am Konzept gefeilt. „Es wird im Januar eine Konferenz der Medical Commission geben, da werden dann auch die neuen Entwicklungen berücksichtigt“, sagt Matthias Baumann und verweist auf die Schwierigkeiten der zurückliegenden Monate. „Ich bin ja selbst erst vor kurzem Teil der Kommission geworden und dann gleich dieses Jahr – das war schon heftig“, so der Arzt aus Tübingen.

Für Komissions-Chef Xavier Bigard war es noch etwas anstrengender. „Ich habe zu Xavier gesagt: „Was für ein Jahr“. Denn es war für ihn schon eine heftige Zeit. Aber Xavier ist Wissenschaftler, der fand das höchst spannend und interessant, aber natürlich war es auch anstrengend. Wir müssen eben schauen, dass wir es weiterhin so gut hinbekommen, oder eben sogar noch etwas besser“, sagt Baumann ruhig.

Der Nachwuchs bleibt das Sorgenkind

„Im Profi-Radsport haben wir es gut hinbekommen, aber der Nachwuchs bleibt leider doch etwas auf der Strecke“, sagte Baumann. „Die Kritik, was Nachwuchs- und Breitensport betrifft, ist absolut berechtigt. Hier müssen wir, und das betrifft den gesamten Sport, schnell versuchen Fortschritte zu machen. Das ist aktuell sicher die größte Herausforderung“, so Baumann.

Ob es 2021 auch für den Sport-Nachwuchs einen Schritt zurück zu mehr Normalität geben wird, hängt vom Infektionsgeschehen ab. Denn erst wenn das Infektionsgeschehen abebbt werden wohl die Sportstätten auch für Nachwuchs- und Freizeitsport wieder geöffnet. Aktuell besteht im Radsport große Hoffnung, dass 2021 Wettkämpfe wie die WM auch in den Nachwuchsklassen möglich sind.