Thesen für 2022 auf dem Prüfstand: Lag Tom Bachmann mit seinen #Saisonthesen richtig?

Vor der Saison 2022 hatten wir von einigen Radsportexperten Thesen eingesammelt – diese werden nun überprüft! Hier sind die von Journalist Tom Bachmann auf dem Prüfstand.

1 | Pogacar erobert Flandern

Tadej Pogacar fährt in diesem Jahr erstmals die Flandern-Rundfahrt als Profi. In der Kategorie U23 hat er das schon 2018 getan. Offiziell sagt Pogacar natürlich, er fährt die Ronde, um Erfahrungen zu sammeln und sich auf das Kopfsteinpflaster der 5. Etappe der Tour de France zu gewöhnen. Für jemanden, der im Juniorenbereich mehrmals Paris-Roubaix gefahren ist, klingt das nach einer etwas merkwürdigen Argumentation.

Ich denke, Pogacar hat anderes im Sinn. Er will alle fünf Monumente gewinnen und in Flandern wie in der Lombardei möglichst im ersten Anlauf. Für den 23-Jährigen scheint nichts unmöglich und er wird auch in Flandern eine grandiose Show abliefern. Der Sieg klappt aber nur unter drei Voraussetzungen: Wout van Aert hat einen schlechten Tag, Mathieu van der Poel hat einen schlechten Tag, QuickStep baut taktisch ganz großen Mist. Es muss also schon sehr viel zusammenkommen. Die Herzen der Flamen könnte Pogacar mit seiner offensiven Fahrweise allerdings im Sturm erobern.

Überprüfung

  • Erste These, erster Treffer. Am Ende hat es zwar nicht für einen Sieg gleich bei der Flandern-Premiere gereicht, doch das lag allein an Tadej Pogacar selbst. Er wird es als Lehrgeld verbuchen, dass er sich im Herzschlag-Finale gegen Mathieu van der Poel erst zu viel Zeit gelassen und sich dann hat abdrängen lassen. Dass es am Ende „nur“ Platz vier war, ist eigentlich ein Witz. Aber so ist es im Radsport, auch ein Pogacar bekommt nichts geschenkt. Die von mir ausgemachten Voraussetzungen passten eigentlich: QuickStep spielte keine Rolle, Wout van Aert fehlte wegen einer Corona-Infektion und van der Poel war zwar stark, aber eben nicht unschlagbar. Nun muss Pogacar eben noch einmal zurückkommen.

2 | Buchmann packt das Podium

In diesem Jahr klappt das! Emanuel Buchmann wird beim Giro d’Italia in die Top3 fahren. Der Giro hat nicht allzu viele Zeitfahrkilometer und reichlich Höhenmeter – der Parcours liegt dem Leichtgewicht aus Ravensburg. Im vergangenen Jahr beendete ein unglücklicher Sturz alle Träume. Bis dahin war Buchmann voll auf der Höhe, seine Form wurde von Etappe zu Etappe besser. Das wird er noch im Kopf haben und umso mehr an das Podium glauben. Oder sogar ein wenig mehr.

Überprüfung

  • Das Podium war es nicht, trotzdem ziehe ich den Hut vor der Leistung von Emanuel Buchmann. Der Ravensburger stellte sich in den Dienst der Mannschaft und am Ende hat Bora-hansgrohe mit dem Gesamtsieg beim Giro durch Jai Hindley alles richtig gemacht. Der siebte Platz von Buchmann war herausragend, ging aber ein wenig unter, was schade ist. Schließlich war die Vorbereitung auf den Giro mit gesundheitlichen Rückschlägen suboptimal, weshalb Buchmann in der Schlusswoche an Boden verlor. Dennoch ist er in einen illustren Kreis gefahren: Nur Kurt Stöpel und Dietrcih Thurau war es aus deutscher Sicht bis dahin gelungen, bei der Tour und beim Giro in die Top Ten zu fahren.

3 | Cavendish verpasst die 35

Ein Etappensieg fehlt Mark Cavendish bei der Tour de France noch zum alleinigen Rekord. Mit 35 Tagessiegen würde er den Über-Fahrer Eddy Merckx hinter sich lassen. Allein: Cavendish wird die 35 nicht packen. Zwar wird der Zug von QuickStep auch bei der diesjährigen Tour überragend funktionieren. Allerdings für Fabio Jakobsen. Cavendish war im vergangenen Jahr schon nur eine Verlegenheitslösung und Jakobsen wird immer besser nach seiner langen Verletzungspause. Teamchef Partrick Lefevere ist dafür bekannt, dass nur eine Sache wichtig ist: Er selbst. Also wird er den Fahrer mit zur Tour nehmen, der eine höhere Anzahl an Siegen für sein Team verspricht und das dürfte der Niederländer sein. Womöglich könnte bei Lefevere auch eine Rolle spielen, dass sich die Verhandlungen mit Cavendish über einen neuen Vertrag länger hingezogen haben, als ihm lieb war.

Überprüfung

  • Gut, ich gebe zu, dass eine Tour de France ohne Mark Cavendish die einfachste Vorhersage war. Und zum Verdruss des Manxman traf ich ins Schwarze. Die Vorzeichen standen eben äußerst schlecht, was schon mit den Verhandlungen über einen neuen Vertrag begann. Schon das Programm vor der Tour deutete darauf hin, dass Teamchef Patrick Lefevere auf Fabio Jakobsen setzt. Der zahlte es mit einem Etappensieg zurück und war aufgrund seiner Vorgeschichte mit dem lebensgefährlichen Sturz bei der Polen-Rundfahrt 2019 der Star der Dänemark-Etappen. Natürlich kann man sich nun ausmalen, was Cavendish erreicht hätte. Aber auf dem Papier hat Lefevere alles richtig gemacht.

4 | Vingegaard in Gelb nach Frankreich

Bei der Tour fiebern die Fans auf einen epischen Schlagabtausch zwischen Tadej Pogacar und Primoz Roglic hin. Im Fokus steht aber erst einmal Jonas Vingegaard. Die Rundfahrt startet in seiner Heimat Dänemark (wenn auch am anderen Ende) und der Zweite des Vorjahres dürfte richtig heiß sein. Er wird sich deshalb auf einer der drei Etappen durch das Königreich das Gelbe Trikot holen. Das kurze Zeitfahren zum Auftakt liegt ihm ebenso wie die beiden windigen Flachetappen in Richtung Westen. Vor allem das dritte Teilstück mit der Zielankunft kurz hinter der Brücke über den Großen Belt könnte für gehöriges Chaos sorgen. Vingegaard ist Wind gewohnt, bei ihm zu Hause in Nordjütland knallt die Brise ungebremst von der Nordsee her aufs Land. Zudem dürfte man in seinem Team Jumbo-Visma nicht unglücklich sein, wenn der Fokus nicht gleich auf Roglic liegt, man in Vingegaard im Kampf gegen Pogacar einen zweiten Trumpf hat und den UAE-Kapitän somit ordentlich unter Druck setzen könnte.

Überprüfung

  • Gut, in Gelb nach Frankreich ist Jonas Vingegaard nicht gefahren. Aber er hat das Land dann im Gelben Trikot gelassen. Insofern würde ich mir zumindest einen halben Punkt geben. Aber ganz ehrlich, dass der junge Däne so eine Leistung abliefert, hatte ich nicht erwartet. Natürlich kamen Faktoren wie der Sturz von Roglic hinzu. Und dass Pogacar auf den beiden Berg-Etappen, auf denen er Zeit verliert, erst die Verpflegung verpasst/vergisst und dann stürzt, kann man sich auch nicht ausdenken. Was bleibt, ist auf jeden Fall, dass man sich in der Zukunft auf packende Duelle der beiden freuen kann.

5 | Rutsch & Walscheid – die Riesen machen Freude

Max Walscheid und Jonas Rutsch kannst du auch auf einen Basketball-Court stellen und sie würden nicht auffallen. Mit 1,99 und 1,97 Metern Körperhöhe sind die beiden so etwas wie das Antiprogramm zu den vielen Radprofis, die manchmal so wirken, als steckten sie im Körper eines Teenagers. Doch das Duo hat es trotzdem drauf und ich denke, Platz zwölf (Walscheid) und elf (Rutsch) beim epischen Paris-Roubaix im vergangenen Jahr waren erst der Anfang. Vor allem für Rutsch. Der bald 24-Jährige wird noch besser fahren und es in einem Klassiker in die Top Ten schaffen. Das traue ich auch Walscheid zu, wobei ich bei ihm aufgrund der Entwicklung der vergangenen Jahre den Schwerpunkt im Zeitfahren sehe. Er wird richtig heiß sein, bei den deutschen Meisterschaften auf Dauersieger und Neu-Rentner Tony Martin zu folgen. Platz sechs im abschließenden Giro-Zeitfahren sowie Rang fünf bei der EM haben 2021 gezeigt, dass der Mann aus Heidelberg ganz nah vorn dran ist. An einen Sieg bei einem großen Rennen glaube ich (noch) nicht, aber die Top 3 könnten drin sein, wenn er sich bei seinem neuen Team Cofidis gut zurechtfindet und das Material entsprechende Qualität hat.

Überprüfung

  • Von den Ergebnissen bei den großen Rennen her mag ich oberflächlich falsch gelegen haben. Doch die vergangene Saison stand sowohl beim Team EF Education von Jonas Rutsch als auch bei der Cofidis-Mannschaft von Max Walscheid klar im Zeichen des Klassenerhalts. Gerade Rutsch war jemand, der sich enorm für die Mannschaft aufopferte, oft bei kleinen Rennen im Wind fuhr, damit Teamkollegen im Finale punkten können. Walscheid war bei Cofidis einer, der dann reinhalten konnte. Ein Sieg beim Grand Prix de Denain und weitere Podiumsplätze waren die Belohnung. Bei der Tour schaffte es Walscheid nie in die Top Ten, doch man darf den irren Trainingsunfall nicht vergessen. Walscheid dürfte froh sein, überhaupt noch auf dem Rad zu sitzen, nachdem ein Auto frontal in ihn gefahren war. Ich würde also diese These für 2023 glatt noch einmal aufstellen. Dann braucht es nur noch vier weitere.