Thesen für 2023 auf dem Prüfstand: Lag Tom Bachmann mit seinen #Saisonthesen richtig?

Vor der Saison 2023 hatten wir von einigen Radsportexperten Thesen eingesammelt – diese werden nun überprüft!. Der erfahrene Sportjournalist Tom Bachmann überprüft seine Thesen.

1 | Roglic gewinnt den Giro

Der Traum vom Tour-Sieg wird für Primoz Roglic wohl einer bleiben. Das heißt allerdings nicht, dass es nichts mehr zu gewinnen gibt. Das wird Roglic beim Giro zeigen, wenn er Remco Evenepoel das Vuelta-Giro-Double vermasselt. Nüchtern betrachtet, hätte Roglic bereits die Vuelta gewonnen, hätte es ihn nicht – wie auch immer – vom Rad geholt. Der Rückstand zum späteren Sieger Evenepoel schrumpfte bis dahin schließlich immer weiter und der Slowene machte den deutlich besseren Eindruck. In diesem Jahr wird Roglic das bessere Ende für sich haben – wenn er auf dem Rad bleibt.

Überprüfung

  • Treffer. Na gut, es hat sich nicht so entwickelt, wie von mir vermutet. Remco Evenepoel wurde durch eine Coronaerkrankung ausgebremst, so blieb der Zweikampf mit Primoz Roglic aus. Doch das Duell der (vergleichsweise) alten Männer mit Geraint Thomas war ebenfalls spannend. Und besser als mit einem Bergzeitfahren auf der vorletzten Etappe hätte Roglic diesen Giro nicht gewinnen können (Grüße gehen raus an das Jahr 2020).

2 | Premiere für Van Aert: Erstes Kopfsteinpflaster-Monument

Flandern oder Roubaix oder beides. Völlig egal, Woutje ist einfach mal dran. Mit dem Omloop, dem E3 Prijs und Gent-Wevelgem hat der belgische Alleskönner bereits die zweite Pflaster-Reihe gewonnen, nur der ganz große Abschuss gelang ihm bisher nicht. Wird sich 2023 ganz sicher ändern, man schaue sich nur seine aktuelle Form bei den Crossrennen an. Zudem scheint Dauerrivale Mathieu van der Poel langfristig mit seinen Rückenproblemen zu kämpfen zu haben. Fährt Tadej Pogacar (in Flandern) mit, so schlägt er ihn spätestens im Sprint – wie alle anderen Konkurrenten auch.

Überprüfung

  • Hach, Woutje. So langsam nimmt die Beziehung des belgischen Alleskönners zu Flandern & Roubaix schon dramatische Züge an. Gut, in Flandern war Tadej Pogacar in diesem Jahr einfach nicht zu knacken. Aber dass Wout an einem richtig starken Tag ausgerechnet auf dem Carrefour de l’Arbre einen Plattfuß hat… kannste dir nicht ausdenken. „Jetzt fängt es an wehzutun“, sagte van Aert danach. Und ganz nebenbei: Die schnellste Zeit auf dem Sektor fuhr er trotzdem.

3 | Vollering knackt van Vleuten

Ich lehne mich mal soweit ich kann aus dem Fenster: Die zweite Auflage der Tour de France Femmes gewinnt Demi Vollering und entthront damit Annemiek van Vleuten. Natürlich spricht nicht viel dafür, wenn man den Rückstand der Zweiten Vollering von fast vier Minuten aus dem Vorjahr sieht. Doch die 26-Jährige ist ein Jahr älter, erfahrener und besser. Und irgendwann geht die Serie von van Vleuten einmal zu Ende, schon allein rein statistisch, wenn man an ihr unfassbares Jahr 2022 denkt.

Überprüfung

  • Dass diese These aufgeht, hatte sich recht früh angedeutet. Vollering gewann das Ardennen-Triple, die Strade Bianche und war in Flandern Zweite. Dann schlug Annemie van Vleuten allerdings zurück und triumphierte bei der Vuelta und beim Giro. Bei der Tour lag van Vleuten bis zur siebten Etappe vor ihrer großen Konkurrentin. Dann kam der Tourmalet – und Vollering distanzierte die Titelverteidigerin um mehr als zwei Minuten!

4 | Schachmann kommt stark zurück, Brenner macht Lust

Ich beschränke mich bei meiner deutschen These in diesem Jahr auf zwei Fahrer: Max Schachmann und Marco Brenner. Der eine, Schachmann, wird nach seiner krankheitsbedingt grauenvollen Saison 2022 wieder in alter Stärke zurückkommen. Mein Tipp: Er gewinnt eine Etappe bei der Tour. Richtig gespannt bin ich auf Brenner. Das Top-Talent hat sich im vergangenen Jahr bei seiner ersten dreiwöchigen Rundfahrt (Vuelta) in der zweiten Woche bei einer schweren Bergankunft gezeigt, fuhr bei der Polen-Rundfahrt im Einzelzeitfahren auf Platz fünf. Wer das mit 19 (Polen) bzw. 20 (Vuelta) Jahren kann, kann noch viel mehr. Brenner wird in diesem Jahr den nächsten Schritt machen, zumal er bei DSM in einem Team ist, das für seine herausragende Talent-Entwicklung bekannt ist.

Überprüfung

  • Dass ich hier mächtig daneben lag, ist auch ein kleines Drama für den deutschen Radsport. Max Schachmann fuhr auch 2023 unter dem Radar, hat offenbar immer noch mit Problemen zu kämpfen. Die Sibiu-Tour ist dafür bezeichnend. Erst gewinnt der Berliner die dritte Etappe und feiert seinen ersten Sieg seit zwei Jahren. Am nächsten Tag stürzt Schachmann und muss aufgeben. Bei Brenner kam es aus diversen Gründen nicht zum nächsten Leistungssprung, zudem hat er sich offenbar mit seinem Team DSM zerstritten und wird wechseln. Die Rede ist von der Schweiz. Vielleicht ist ein kleiner Schritt zurück genau richtig, um einen großen nach vorn zu machen.

5 | Cavendish verpasst (wieder) die 35

Zum Schluss ist es an der Zeit für eine Neuauflage. Im vergangenen Jahr war meine These bereits, dass Cavendish seinen 35. Etappensieg bei der Tour verpasst – weil QuickStep ihn erst gar nicht mitnimmt. Genauso kam es leider für den Manxman. Nun hat Cavendish mit Astana ein neues Team gefunden, doch damit noch lange nicht zur QuickStep-Stärke. Die Konkurrenz wird bei der Tour zu groß sein und Cavendish braucht für einen Tagessieg schon verdammt viel Glück. Das wird er nicht haben.

Überprüfung

  • Dass meine These auf diese Art und Weise aufgeht, ist natürlich bitter. Cavendish war in Bordeaux nah dran an der 35, hatte dann aber Probleme mit der Schaltung. Am Tag darauf Sturz, Schlüsselbeinbruch, Tour-Aus. Natürlich konnte er so nicht aufhören. Und mit Michael Mørkøv als Anfahrer sind die Chancen um einiges besser geworden.