Ja, Alexander Kristoff ist in sehr guter Form. Klar, ist der Norweger aufgrund seiner Sprintstärke einer der Top-Favoriten. Nicht umsonst tippt Titelverteidiger John Degenkolb (der leider nicht dabei ist) auf einen Sieg des 28-Jährigen. Doch es dürfte für ihn in diesem Jahr schwer werden, bei der Primavera erneut zu siegen.

 

Spartacus so stark wie früher

Fabian Cancellara (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Fabian Cancellara siegt bei Strade Bianche (Foto: Roth&Roth roth-foto.de).

Auf seiner Abschiedsrunde durch die großen Arenen der Radsportwelt macht Fabian Cancellara keine Geschenke. Der Schweizer ist in Top-Form und hat mit seinem Sieg bei der Strade Bianche schon einen großen Sieg errungen, der ihm den Druck nimmt und Selbstvertrauen gibt. WIE stark Cancellara derzeit ist, zeigte sich letzte Woche bei Tirreno-Adriatico. Der Sieg im Zeitfahren? Geschenkt, sowas kann er immer gewinnen, auch wenn du ihm am Brüsseler Flughafen nach Paris-Roubaix eine Zeitfahrmaschine in die Wartehalle stellst.

Wirklich beeindruckend war sein Auftritt auf der vierten Etappe, als er sich im Finale vor das Feld spannte. Spartacus zog dermaßen am Lenker, dass sich das Feld direkt aus einem Tropfen zur langen Kette formte. Nach 500m in der Führung ging es bergauf. Cancellara blieb vorn und hinter ihm hubbelte das komplette Feld auf der Sattelspitze rum. Einmal Anschlag für ALLE! Nach dem etwa 1 Kilometer langen Anstieg hatte Cancellara noch nicht genug, er teilte einfach weiterhin vorn den Wind. Sein SRM musste anschließend ins Ermüdungsbecken!

In dieser Form ist Cancellara ein harter Gegner für jeden im Feld, und Cancellara will sicher nicht mit Kristoff gemeinsam auf die letzten 500m gehen! Attacke garantiert! Hinzu kommt, dass Mailand-Sanremo nicht das wichtigste Rennen seiner Abschiedstournee ist. Ein lockerer Cancellara in Top-Form, der taktisch alle Möglichkeiten hat – wir wünschen dem Rest im Feld viel Spaß.

 

Greg van Avermaet muss derzeit nur lenken

Greg van Avermaet (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Greg van Avermaet feiert Gesamtsieg bei Tirreno-Adriatico (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Diese Saison könnte Greg van Avermaet der ganz große Durchbruch gelingen, das haben die belgischen Zeitungen schon im Januar geschrieben. Die Kollegen haben natürlich Recht. Erst gewinnt Van Avermaet den Omloop Het Nieuwsblad, dann schlägt er Peter Sagan bei Tirreno Adritiato und fährt auch noch den Gesamtsieg ein, und nun will er vor allem in Flandern ganz vorn landen. Ja, genau, die Ronde ist das große Ziel.

Van Avermaet kommt also ohne Druck, aber in Top-Verfassung nach Mailand und wird an Cipressa und Poggio mal Druck auf die Pedale ausüben. Das bedeutet für den Rest im Feld: einmal anschnallen, bitte. Der große Vorteil von Van Avermaet ist, dass er sich derzeit auf seine Endschnelligkeit verlassen kann. Beim Omloop hängte er Sagan ab, und dass ohne vorher Kräfte zu sparen, wie bei seinem Etappensieg bei Tirreno-Adriatico. Der Belgier kann also aus jeder Gruppe gewinnen, außer wenn Kristoff dabei ist. Und das ist vielleicht ein Problem für das Katusha-Team, denn der Rest im Feld würde im Zweifel nämlich auch lieber mit van Avermaet um den Mailand-Sanremo-Sieg sprinten, als mit Alexander Kristoff.

 

Peter Sagan hat keinen Bock mehr auf Platz 2

Greg van Vaermaet (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Greg van Avermaet jubelt, Peter Sagan wieder Zweiter (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Nein, Peter Sagan ist noch in keinem Rennen grün geworden. Und er wird auch nach dem nächsten zweiten Platz sein Körpervolumen verdreifachen und den Hulk machen. Aber „Peto“ hat keinen Bock mehr auf zweite Plätze. Und das liegt nicht daran, dass er nicht verlieren kann. Wenn ein anderer Fahrer stärker ist, kann er mit dem zweiten Platz gut leben. Er ist Weltmeister, hat sehr viel gewonnen und ist wohl der kompletteste Fahrer des gesamten Radsportzirkus, mit 26 Jahren. Doch es nervt ihn, wenn er die Arbeit macht und am Ende nicht den „verdienten“ Lohn einsackt. Doch so ist Radsport, darüber können Tom Boonen und Fabian Cancellara mehrere Abende mit Liedern füllen. Bist du superstark, ist dein Hinterrad eben sehr beliebt.

Doch was bedeutet das für Mailand-Sanremo? Peter hat sicher keinen Bock, der Konkurrenz den Weg zu ebnen. Doch er ist in super Form und wird die Attacken an Cipressa und Poggio wohl mitgehen können. Er kann taktisch spielen, muss nicht alle Körner rausblasen und kann auch im Finale mal die Konkurrenz die Arbeit machen lassen. Bei einem so langen Rennen kann am Ende ein Körnchen, dass man noch irgendwo im Tank findet entscheiden. Sagan kann pokern, bei Mailand-Sanremo sicher noch besser, als bei der Ronde oder in Rouabix.

 

Michael Matthews hat bei Degenkolb genau zugeschaut

ROT_MATTHEWS_PN08031628
Kaum zu stoppen – Michael Matthews in Gelb bei Paris-Nizza (Foto: Roth&Roth roth-foto.de

Das Katusha-Team von Alexander Kristoff dürfte bei der angriffslustigen Konkurrenz ohnehin schon viel Arbeit haben, doch sollten sie das Feld tatsächlich beisammenhalten können und geschlossen auf die letzten 1000 Meter gehen, ist der Sieg von Kristoff keineswegs sicher. Michael Matthews hat sich im letzten Jahr genau angeschaut, wie John Degenkolb den Norweger niedergerungen hat. Der Australier wurde Dritter, vor Peter Sagan.

In diesem Jahr ist der 25-Jährige Matthews einer der Top-Favoriten. Er ist in herausragender Form und sein Team wird sich voll für ihn ins Zeug legen. Impey, Albasini, Keukeleire, Yates – mit diesen Jungs kann man ein Feld in Schach halten. Michael Matthews will diesen Sieg unbedingt, er ist heiß wie Frittenfett.

 

Katusha in schwieriger Situation und ohne Paolini

Alexander Kristoff (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)
Gemeinsam jubeln: In Qatar klappte die Teamarbeit – Alexander Kristoff gewinnt. (Foto: Roth&Roth roth-foto.de)

Mit Alexander Kristoff stellt das Katusha-Team den Top-Favoriten und ist ohne Frage in der Verantwortung für das Rennen. Kristoff ist der schnellste Sprinter und sein Team muss dafür sorgen, dass er in der ersten Gruppe auf die letzten 500 Meter geht. Das ist keine leichte Aufgabe, wenn der Rest im Rennen den entgegengesetzten Plan hat.

Bei Kristoffs Mailand-Sanremo-Sieg 2014 hat die Teamarbeit perfekt geklappt. Sie konnten das Rennen kontrollieren und haben verdient gewonnen. Ein sehr großen Anteil hatte damals auch Luca Paolini, der nun wegen Kokain-Missbrauch fehlt. Er war für Kristoff bei der Primavera immer ein sehr wichtiger Helfer. Er hat ihn im Finale in Position gebracht und konnte mit seiner Erfahrung das Rennen lenken.

Das müssen nun andere Fahrer im Team leisten. Mit Sven Erik Bystrøm, Jacopo Guarnieri, Marco Haller, Sergey Lagutin, Michael Mørkøv, Simon Špilak und Angel Vicioso hat Kristoff ohne Frage starke Fahrer an seiner Seite. Doch er wird sie brauchen, wenn es nach mehr als 250 Kilometer in die entscheidende Phase geht. Mit Špilak, Vicioso, Lagutin und Mørkøv sind sehr erfahrene Rennfahrer dabei – doch es bleibt abzuwarten, ob sie Lücke von Luca Paolini ausfüllen können. Gelingt das, hat Kristoff  gute Chancen, seinen zweiten Sieg bei Mailand-Sanremo einzufahren.