Strade-Bianche, Mailand-Sanremo oder auch Tirreno-Adriatico – mehrere italienische Radrennen wurden bereits abgesagt, nun wurden in Frankreich und auch in Deutschland die Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus verschärft. Dass nach den italienischen Rennen weitere Radsportveranstaltungen abgesagt werden, ist nicht ausgeschlossen. Das ist nicht nur für Fans und Teams enttäuschend. Vor allem für die Veranstalter ist es eine schwierige Situation. Zwar betont man, die Rennen nur verschieben zu wollen, RCS habe bereits in Abstimmung mit der UCI nach alternativen Terminen geschaut, aber so voll wie der Radsportkalender ist, sind die Möglichkeiten begrenzt. Werden künftig noch weitere Rennen abgesagt, scheint es unmöglich, alle Rennen noch in diesem Jahr nachzuholen.
Sponsoren, Jedermannveranstaltungen, TV-Gelder – welche wirtschaftliche Dimension solche Absagen haben, liegt auf der Hand. Kein Wunder, dass man intensiv über Alternativen nachdenkt. Hintergrund der Absage in Italien war ein erlassenes Dekret, dass strenge Auflagen für Veranstaltungen beinhaltet, um eine weitere Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Es soll verhindert werden, dass sich bei Menschenaufläufen viele Personen in kurzer Zeit anstecken. Eine naheliegende Idee wäre, die Rennen einfach ohne Zuschauer an der Strecke auszutragen, sie aber im TV zu übertragen. So ließe sich auch der wirtschaftliche Schaden mindern. Kann das gelingen?
Aktuell wird versucht, die Infektionsketten nachzuvollziehen und dann über Quarantänemaßnahmen die Ausbreitung einzudämmen. Kommt es zu vielen unkontrollierten Kontakten, ist das nicht mehr möglich und man kann Personen, die sich beim Kontakt mit einem Infizierten möglicherweise angesteckt haben, nicht mehr gezielt testen und isolieren.
Kontaktpunkte verhindern
„Aktuell ist es so, dass wir in einigen Regionen der Welt viele Fälle haben, in anderen wenige“, erklärt Bora-hansgrohe-Teamarzt Jan-Niklas Droste. „Bei den behördlich geforderten Vorsichtsmaßnahmen geht es vor allem darum, dass man unkontrollierte Kontaktpunkte verhindert. Aktuell wird in Europa versucht, im Falle einer Infektion eine Kontaktkette definieren zu können und entsprechende Isolationsmaßnahmen einzuleiten, damit die Ausbreitung verlangsamt wird. Schaut man sich das Gedränge im Zielbereich von Radrennen an, dann ist klar, dass es dort viele Kontakte gibt und entsprechend schwierig ist es, alle Kontaktpersonen zu identifizieren“, so Droste.
Start und Ziel eines Radrennens ließen sich sicher ohne Fans durchführen. Bei Paris-Roubaix etwa, ist der Platz vor dem Schloss in Compiegne ohnehin abgesperrt. Der Zielbereich im Velodrom von Roubaix ließe sich auch problemlos absperren. „Man wird natürlich nie 100% erreichen, aber man hätte sehr wenige Interaktionen. Das ist ein hypothetisches Gedankenspiel und eine abstrakte Maßnahme, aber man würde entsprechend der aktuellen Vorgaben und Zielsetzungen handeln„, so Droste. Natürlich wäre es in Sachen Stimmung schade, aber zumindest im TV ließe sich das Rennen verfolgen und der Wettkampf könnte überhaupt stattfinden.
Die Fahrer sind nicht das Problem
Eine mögliche Ansteckung der Fahrer wäre bei diesem Szenario kein großes Problem. Die Sportler werden permanent medizinisch betreut, sind an der frischen Luft und hätten nur zu wenigen Menschen Kontakt. Natürlich lässt sich eine Ansteckung auch im Alltag nicht hundertprozentig ausschließen. Doch Radprofis zählen nicht zu Risikogruppen und werden gut betreut.
Im Team Bora-hansgrohe gibt es spezielle Hygienemaßnahmen, die Fahrer werden zudem permanent informiert. „Wir stehen immer in Kontakt mit unseren Sportlern, sie können den Ärztestab ohnehin rund um die Uhr erreichen, wenn das nötig ist“, so Droste. „Das Problem der Ansteckung betrifft vor allem schlecht belüftete Räume und engen Kontakt, dem sind die Fahrer während des Rennens nicht ausgesetzt. All die Maßnahmen werden aber eben auch nicht nur für die Sportler getroffen, sondern genauso für den Schutz jedes Fans und Mitarbeiters an der Strecke“, so Droste.
Das Event unattraktiv gestalten?
Doch selbst wenn Start und Ziel abgesperrt sind, könnten sich dennoch entlang der Strecke Menschengruppen bilden. In Italien soll ein Meter Abstand zwischen den Personen eingehalten werden. „Mit dieser Vorgabe müsste man es entsprechend unattraktiv gestalten, damit niemand kommt“, sagte Droste.
Um beim Beispiel Paris-Roubaix zu bleiben, wäre auf den rund 260 Kilometern zwischen Start und Ziel sicher ausreichend Platz für die Zuschauer, jedoch werden wohl die meisten Zuschauer zum Wald von Arenberg oder den Carrefour de l’Arbre pilgern. Hier müsste man gezielt Menschenaufläufe verhindern. Will man allein die Kopfsteinpflasterpassagen abgittern, wären das mehr als 50 Kilometer.
Platzverbote aussprechen und drakonische Geldstrafen verhängen, wäre eine Möglichkeit, wenn auch keine attraktive. Bislang ist es noch kein nötiges Szenario, denn noch gelten nicht überall solch strenge Vorschriften, wie in Italien.
Veranstalter, UCI, Teams und Fahrervereinigungen arbeiten gemeinsam an einer Lösung. Entscheidend werden auch in Zukunft die Vorgaben der Behörden sein. Es sind kreative Ideen gefragt, um das Problem der Zuschauermassen zu lösen. Einfach aussperren, wie beim Fußball, lassen die Zuschauer nicht. Genau das, was den Radsport ausmacht – die Fankultur und Nähe zu den Sportlern – wird hier zum Problem. Es ist allen zu wünschen, dass sich die Lage bald entspannt.