Den besten Tag auf dem Rad zu nennen fällt schwer, erlebt man doch viele tolle Tage, bei Rennen oder auch im Training. An das Rennen beispielsweise, als ich Gringo (Andrè Greipel) in Belgien meinen Schuh gab, nachdem seine Platte gebrochen war und er seinen ersten großen Sieg einfuhr – denke ich sehr gern zurück. Komplett surreal und der verrückteste Tag auf dem Rad war der Tourstart 2014 in Großbritannien. Das ist definitiv unvergesslich.


Dass ich überhaupt einmal bei der Tour de France am Start stehen würde, schien lange unrealistisch. Es ist aber schon so, dass ich in den Nachwuchsklassen und der U23 gut gefahren bin. Nach meiner Zeit beim Team Köstritzer fuhr ich beim Continental-Team Milram. Im Jahr 2006 hieß es, dass die besten Fahrer übernommen werden. Bei der Deutschen Meisterschaft damals wurde ich Siebter – vor und hinter mir ein Haufen Tourstarter. Aber dann gab es den Fuentes-Skandal und jede Menge Stress. So wurde ich 2007 nicht übernommen und auch kein Profi.

Brutal viel Talent auf einem Foto – v.l. Schilli, Andrè Greipel, Sebastian Schwager, Tony Martin, Falk Dworatzek & Thomas Fothen (2004)

Nach der U23 bin ich ins Conti-Team Sparkasse gewechselt und hab mir gesagt: ‚Du versuchst es jetzt maximal drei Jahre, sollte es nicht klappen Profi zu werden, hörst du auf‘. 2007 war ich Deutscher Bergmeister und hatte ordentliche Ergebnisse geliefert. Aber ein Profi-Vertrag war in der schwierigen Zeit des Radsports damals nicht abzusehen.

Dass ich dann 2010 zu Ralph Denks ambitionierten Team NetApp kam, habe ich Eric Baumann zu verdanken. Denn ich hatte ihm bei Sparkasse die Sprints angezogen und als Ralph ihm ein Angebot machte, sagte Eric, dass er nur kommt, wenn ich dabei bin.

Schilli bei der Ronde 2012

Ralph hatte große Ziele, aber eine Tour de France war damals extrem weit weg. Wir sind dann 2012 den Giro gefahren, 2013 die Vuelta – schon das war Wahnsinn. Und dann kam die Tour 2014. Wenn du 4-5 Conti-Jahre abspulst, ist das so weit weg. Zwischendrin hatte ich fast damit abgeschlossen, Profi zu werden. Und dann kommst du zur Tour. Zu dieser Tour. In Großbritannien war damals der Radsportboom extrem.

Absurd, einfach surreal

Ich hatte schon viel erlebt, viele Rennen gefahren, aber was da passierte, war verrückt. Es war einfach ein Überschuss an Einflüssen, an allem zu viel – allein der Medienrummel, sowas hatte ich vorher noch nicht gesehen. Sich da aufs Rennen fahren zu konzentrieren, war nicht einfach.

Man muss es so sehen, ich hatte eigentlich im Hinterkopf schon abgeschlossen, mit dem Traum vom Profi, aber dann stehe ich, mit 31 Jahren, am Start meiner ersten Tour de France, als ältester Debütant überhaupt. Dann stehst du da beim Start in Leeds, vor dieser unfassbaren Kulisse und ein paar Meter neben dir geben William und Kate den Startschuss.

Auf dem Weg zum Einschreiben zur 1. Etappe der Tour 2014

Was dann kam, hatte ich so noch nie gesehen. Ich war völlig überfordert. Die extrem schmalen Straßen, wir sind mit 80-90 km/h die kurzen Wellen runter, dann wurde es plötzlich einspurig. Ich dachte, das kann sich nie und nimmer ausgehen. Aber wir sind einfach durchgeballert. Die Massen, das Tempo, die Streckenführung – es waren so viel Eindrücke an diesem Tag – einfach brutal

Das war ein ganz anderes Rennen, sowas bin ich noch nie zuvor angefahren. Ich war so fertig, auf den letzten 50 Kilometern bin ich mit Gringo zusammen gefahren. Ich habe ihn gefragt: ‚Gringo, wie viele Fahrer sind noch hinter uns?‘ Aber da war keiner. Hinter uns war nur der Besenwagen. Ich habe absolut nichts mitgeschnitten – aber es war soo geil

Du bist dann einfach drin, in dieser „Tour-Blase“. Schaust abends ins Roadbook und weißt, das wird morgen genau so. Als die drei Tage in England rum waren und es nach Holland ging, haben wir drei Kreuze gemacht, denn es waren gefühlt keine Zuschauer an der Strecke und der Stress ließ etwas nach.

Krasseste erste Woche

Egal mit wem man spricht, diese erste Woche der Tour 2014, mit dem verrückten Auftakt in England, dem Regen und dem Kopfsteinpflaster danach – das war eine der krassesten ersten Wochen aller Frankreichrundfahrten. Nach zehn Renntagen hast du richtig gemerkt, wie die Luft raus war und 70% des Pelotons im Eimer.

Es war ein großartiges Erlebnis, das ich nie mehr vergessen werde. Und egal welche Rennen ich in meiner Karriere noch fahren werde – es kann nicht schlimmer werden.


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