Profil Gent-Wevelgem 2023

Lang, schwer und längst nicht mehr ein „Klassiker für die Sprinter“. Der Charakter von Gent-Wevelgem hat sich vor einigen Jahren verändert, als man die Gravel-Passagen in den Parcours einbaute. Die Schotterabschnitte wurden in Erinnerung an die Opfer des ersten Weltkrieges und den geschichtsträchtigen Waffenstillstand zur Weihnachtszeit 1914 eingebaut. Wenn das Peloton an den Denkmälern vorbei rast, entstehen immer wieder beeindruckende Bilder und die Kommentatoren erinnern an die Kriegszeit. Rein sportlich betrachtet haben diese „Plugstreets“ (Naturstraßen) das Rennen doch ein wenig anspruchsvoller gemacht.

Das Wahrzeichen des Rennens ist jedoch geblieben – der legendäre „Kemmelberg„. Dieser steile Pflasteranstieg wird mehrfach gefahren und ist oft der Scharfrichter des Rennens. Doch Gent-Wevelgem ist nicht nur Kemmelberg und Plugstreets – der Wind spielt oft eine große Rolle im Rennverlauf. Es geht durch die berühmten „Moeren“, eine windanfällige Passage in Westflandern. Für Sonntag ist kein sonderlich starker Wind vorhergesagt, doch man sollte abwarten, wie es im Rennen tatsächlich ist.

Die Strecke

Viele Jahre war der Start in Deinze, erst seit drei Jahren starten die Profis in Iper. Mit Gent-Wevelgem ist Iper aber schon länger fest verbunden, denn dort starten und enden bereits seit einiger Zeit die Nachwuchswettbewerbe des Rennens.

Die Männer gehen nach dem Start in Iper zunächst auf eine größere Schleife gen Osten, die im Vergleich zum Vorjahr etwas modifiziert ist. So kommt das Rennen in diesem Jahr am Ende sogar auf satte 260 Kilometer. Nach dem Ausflug in den Osten geht es gen Westen und dann am nordwestlichsten Teil der Strecke in die Region „De Moeren“. Sollte doch der Wind heftig blasen, kann das Feld hier in Stücke reißen.

Danach geht es gen Osten – in Richtung Kemmelberg und das Finale wird rund 100 Kilometer vor dem Ende eingeläutet. In mehreren Schleifen geht es über die kurzen Anstiege. Zunächst über Scherpenberg, Baneberg zum Monteberg-Kemmelberg-Doppel. Danach werden die Plugstreets befahren und man kommt von Osten zurück zum Monteberg und fährt anschließend erneut den Kemmelberg. Dann wird noch einmal die westliche Schleife über den Scherpenberg und Baneberg gefahren, ehe es ohne Monteberg zur letzten Kemmelberg-Auffahrt geht. Diesmal wird „der Kemmel“ von der anderen Seite über die Ossuaire-Seite erklommen. Dieser Teil des Rennens ist nahezu identisch mit dem aus dem Vorjahr.

Ist der Kemmel gemeistert, sind es noch 34 flache Kilometer zum Ziel. Die letzten Kilometer geht es leicht geschwungen nach Wevelgem. In der Anfahrt kann der Wind eine Rolle spielen, denn erst auf dem letzten Kilometer bieten die Häuser entlang der Straße Schutz vor dem Wind.

Die letzten Kilometer zum Ziel

Die Favoriten

Nur zwei Tage nach dem E3-Prijs steht das nächste große flämische Rennen an und die Startliste in sehr ähnlich. Doch im Vergleich zum Freitag sind einige endschnelle Männer ins Aufgebot gerückt. So beispielsweise Tim Merlier, Jasper Philipsen und Olav Kooij. Auch Arnaud De Lie, Pascal Ackermann, Casper van Uden und Arnaud Démare sind am Start. Titelverteidiger Biniam Girmay hat den E3-Prijs nicht beendet, ist erneut am Start.

Gent-Wevelgem ist im Vergleich zum E3-Prijs deutlich „sprintfreundlicher“, doch in den vergangenen Jahren fiel die Entscheidung nicht im Massensprint, sondern meist aus einer recht kleinen Gruppe. Als Tom Boonen 2011 im Sprint einer großen Gruppe siegte, war das Rennen noch rund 50 Kilometer kürzer. Doch Fahrer wie beispielsweise Jasper Philipsen oder auch Alexander Kristoff sind auch auf dem aktuelle Parcours in der Lage, ganz vorn mitzufahren. Das gilt sicher auch für De Lie und weitere „Sprinter“.

Ob die Sprinter am Ende eine Chance auf den Sieg haben, hängt vom Rennverlauf ab. Wird früh angegriffen und das Feld nach und nach dezimiert, haben es die Sprinter schwer, am Ende noch einmal zurückzukommen. Doch es sind einige Teams, die durchaus ein Interesse an einem Sprint hätten, beziehungsweise wenig dagegen – darunter auch Teams wie Jumbo-Visma (mit Kooij und Van Aert), Soudal-QuickStep (mit Merlier) und Alpecin-Deceuninck (mit Philipsen).

Dagegen sind andere Mannschaften daran interessiert, den endschnellen Männern vor dem Finale den Zahn zu ziehen. AG2R-Citroen, Bahrain Victorious, EF Education EasyPost, und sicher auch bei Trek-Segafredo will man mit dem durchaus endschnellen Pedersen lieber in einer kleinen Gruppe auf die letzten Kilometer gehen, als mit einem riesigen Feld.

Für viele Teams erscheint es sinnvoll, mit zwei unterschiedlichen Optionen zu planen. Ein Teil des Teams bleibt für einen möglichen Sprint in der Gruppe der endschnellen Männer und spart ein paar Kröner für das Finale, der andere Teil agiert offensiv und versucht in Gruppen mitzugehen, wenn die Kapitäne an den Kemmel-Schleifen in die Offensive gehen. Was am Ende mehr Erfolg verspricht, hängt vom Rennverlauf ab. Wobei es auch für die endschnellen Männer durchaus eine Herausforderung ist, nach den Kemmelberg-Passagen überhaupt in Reichweite der Spitze zu sein, selbst wenn abgehängte Gruppen noch einmal aufschließen können. Ein Massensprint mit dem kompletten Feld ist vermutlich nicht zu erwarten.

Ohne Mathieu van der Poel und Tadej Pogacar ist das Rennen vermutlich ein wenig offener. Wout van Aert hätte gegen einen Sieg sicher nichts einzuwenden, doch er hat das Rennen schon gewonnen und wird nur eine von mehreren Optionen der Jumbo-Visma-Strategie sein. Man darf gespannt sein, wie Jumbo-Visma das Rennen mit dem starken Aufgebot angeht.

***** Jasper Philipsen, Wout van Aert
**** Mads Pedersen, Sören Kragh Andersen
*** Tim Merlier, Tim Wellens, Arnaud de Lie
** Biniam Girmay, Christophe Laporte, Olav Kooij, Alex Kristoff, Matej Mohoric
* Ackermann, Ganna, Stuyven, Dewulf, Küng, Politt, Demare, Cortina, Vanmarcke, Allegaert, Boasson Hagen, Wright,

Start: 10:50 Uhr
Ziel: ~ 17 Uhr

offizielle Website: www.gent-wevelgem.be

Die Startliste:

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