Nach der Bergankunft am Freitag am Grand Colombier geht es nun bergig weiter. Satte fünf Bergwertungen hat dieses 152 Kilometer lange Teilstück. Insgesamt müssen mehr als 4200 Höhenmeter absolviert werden. Es ist die erste von zwei richtig schweren Alpenetappen vor dem zweiten Ruhetag. Am Sonntag wartet die nächste Bergankunft, am Samstag geht es im Finale steil bergab – die lange Abfahrt vom Col de Joux Plane nach Morzine. Der Straßenbelag wurde zwar ausgebessert und ist laut CPA-Chef Adam Hansen kein Problem, gefährlich bleibt eine solche Strecke dennoch. Sie bietet den exzellenten Abfahrern die Chance zum Angriff, doch das Risiko will wohl kalkuliert sein.
Der Col de Joux Plane hat seine Tücken aber nicht nur bergab – es ist auch bergauf ein heftiger Anstieg. Vor allem nach zwei schweren Tour-Wochen, am Ende einer heftigen Bergetappe. Wer hier in eine Krise gerät, kann schnell sehr viel Zeit verlieren. An diesem unregelmäßigen, sehr unangenehmen Anstieg, darf man nicht zu früh in den Roten Bereich. Wie steil es wirklich ist, lässt sich an diesem Anstieg selten erkennen, doch gehen einem die Kräfte aus, wird der Joux Plane zum Biest. Kein Wunder, dass er einer der „unbeliebtesten“ Alpen-Anstiege ist.
Für den Kampf um das Podium der Tour ist dieses Wochenende von großer Bedeutung. Klar, es folgen noch das Zeitfahren und dann weitere schwere Etappen in der dritten Woche, doch zwei heftige Bergetappen mit jeweils mehr als 4200 Höhenmetern werden wohl offenlegen, wie die Kräfteverhältnisse zwischen Jai Hindley, Carlos Rodriguez, Tom Pidcock, Simon Yates und auch dem scheinbar immer stärker werdenden Tom Pidcock sind.
Auch Pogacar und Vingegaard waren in der zweiten Woche der Tour bislang auf Augenhöhe. Pogacar konnte mit seinen explosiven Antritten am vergangenen Sonntag, aber auch am Freitag etwas Zeit gutmachen. Ob sich das Blatt vielleicht wieder dreht, wenn mehrere schwere Berge aufeinander folgen, bleibt abzuwarten.
Je geringer der Abstand zwischen den Kapitänen, desto mehr versuchen die Teams die Stärke der Mannschaftskollegen zu nutzen. Auch das wird spannend zu beobachten sein. Jumbo-Visma könnte versuchen, starke Fahrer in der Gruppe des Tages zu platzieren, um Vingegaard dann im Finale helfen zu können. Das wird UAE versuchen zu unterbinden, oder selbst Helfer mitschicken. Dass es bereits am vorletzten Anstieg im steilen Abschnitt zu Angriffen kommt, ist nicht undenkbar, hat man Helfer vorausgeschickt. Doch der letzte Anstieg des Tages ist durchaus schwer genug, um die Konkurrenz zu testen und einen Angriff zu platzieren.
Da die Etappe recht kurz ist und die letzte Steigung ideal für einen Angriff der Top-Fahrer ist, werden Ausreißer vor dem Col de Joux Plane wohl einen größeren Vorsprung benötigen, wollen sie den Tagessieg einfahren.
Das knifflige Bergab-Finale der Etappe könnte bei einigen Teams für taktische Überlegungen sorgen – so auch bei Ineos Grenadiers. Mit Tom Pidcock haben sie einen der besten Abfahrer der Welt im Team, der sicher gern einen Etappensieg einfahren würde. Zudem liegt der Brite aktuell nur rund 30 Sekunden von einem Top5-Gesamtrang entfernt auf Rang acht. Der Etappensieg hat wohl größere Priorität, doch eine halbe Minute kann man in solch Abfahrt locker gutmachen.
Man darf gespannt sein, mit welchem taktischen Plan die Mannschaften der Top-Favoriten in diese Etappen gehen, und wie gut es ihnen gelingt, diesen umzusetzen.
Am Freitag zeigte sich UAE von den acht gewonnen Sekunden auf Vingegaard begeistertet – der Krafteinsatz war aber enorm. Bei Jumbo-Visma zeigte man auch Gelassenheit – genau so habe man das Finale der 13. Etappe erwartet, sagte Sportdirektor Grischa Niermann. Klar, Selbstsicherheit ausstrahlen, sich nicht in die Karten schauen lassen, all das gehört dazu. Erst recht, wenn der Kampf um Gelb so eng ist.
Die Vorschau wird präsentiert von: Kalas
Die Strecke
Vier schwere Anstiege – dieses Teilstück ist ein heftiger Ritt in Schleifen durch das Département Haute-Savoie. Die ersten 14 Kilometer sind flach, dann geht es den ersten Anstieg hinauf – ein Berg der 3. Kategorie, noch mehr als ein kleiner Vorgeschmack auf das, was da noch kommt.
Kurze Abfahrt, wenige Kilometer flach, dann geht es schon zum ersten schwereren Anstieg des Tages – der Col de Cou mit 7km Länge bei 7,4 %. Erneut eine kurze Abfahrt, dann geht es direkt in die nächste Steigung – den Col du Feu.
Nach der Abfahrt geht es einige Kilometer leicht bergan zur Sprintwertung des Tages – bei Rennkilometer 65,5 – also 86 Kilometer vor dem Ziel.
Nach dem Zwischensprint geht es 20 Kilometer leicht bergab in Richtung Col de la Ramaz – es beginnt das schwere Finale der Etappe.
Der Anstieg zum Col de la Ramaz ist im unteren Teil noch moderat steil, im Mittelteil ist es durchaus giftig. Die letzten Kilometer sind wieder etwas flacher.
Der Gipfel ist rund 50 Kilometer vor dem Ende erreicht, dann geht es in eine lange Abfahrt. Diese ist im Mittelteil durchaus steil und hat einige enge Kehren.
Unten angekommen geht es rund 10 Kilometer flach zum letzten Anstieg des Tages, dem Col de Joux Plane – einem langen und schweren Anstieg, der auch bei der Tour bereits einige Geschichten geschrieben hat.
Satte 11,6 km geht beim Col de Joux Plane bergauf – mit 8,5% im Schnitt. Im unteren Teil ist es noch moderat steil, die letzten 5 km haben im Schnitt mehr als 9% Steigung. Doch dieser Anstieg ist viel ungleichmäßiger, als es das Profil vermuten lässt.
Am Gipfel gibt es Bonussekunden – von dort sind es 12 Kilometer bis ins Ziel. Davon nur wenige flach – der längste Teil ist eine Abfahrt.
Die Bergwertungen:
Kat 3 | km 18.7 – Col de Saxel | 4.2km 4.6%
Kat 1 | km 35.3 – Col de Cou | 7km 7.4%
Kat 1 | km 52.7 – Col du Feu | 5.8km 7.8%
Kat 1 | km 101.6 – Col de la Ramaz | 13.9km 7.1%
Kat HC | km 139.8 – Col de Joux Plane | 11.6km 8.5% | Bonus
Die Sprintwertung:
KM 65.5 – COL DE JAMBAZ
Die Favoriten
Es ist eine schwere Bergetappe, die kletterstarken Ausreißern die Chance für einen Etappensieg bietet. Giulio Ciccone, Esteban Chaves, Ben O’Connor, Mattias Skjelmose, Michael Woods, … Fahrer diesen Schlages kann man auf diesem Terrain den Sieg zutrauen. Da es auch um reichlich Bergpunkte geht, darf man wohl auch Neilson Powless in der Gruppe des Tages erwarten. Zumindest wird er es wohl versuchen, dabei zu sein.
Oder machen die Klassementfahrer den Sieg unter sich aus? Sehen wir vielleicht die oldschool Ineos-Kontrolle für den Angriff von Tom Pidcock? In der Abfahrt ist er sicher einer der Schnellsten – doch kann er bergauf tatsächlich Pogacar und Vingegaard folgen? Diese Gedanken wird man sich bei Ineos sicher machen, bevor man viel Kraft in die Verfolgung der Ausreißer investiert.
Man muss abwarten, wie die Teams der Favoriten das Rennen gestalten. Sieht man bei Jumbo-Visma die Chance, Pogacar abzuhängen, wird man das Rennen schwer machen wollen. Vielleicht Helfer in die Gruppe schicken, die dann auf dem Weg zur Schlusssteigung noch Tempo machen können. Bergab wirkte Vingegaard souveräner, als der im April in einer Abfahrt gestürzte Pogacar. Vielleicht sieht man bei dieser Etappe eine gute Chance, den Vorsprung von Vingegaard auszubauen.
Das Team UAE hat am Freitag viel Aufwand betrieben, ist nun mit Pogacar nur noch neun Sekunden hinter Gelb. Sie bekommen noch andere Chancen, um das Trikot zu holen. Beispielsweise am Sonntag. Vielleicht agieren sie auf dieser 14. Etappe etwas defensiver. Oder wollen sie gerade überraschen und drehen am vorletzten Anstieg das Tempo auf Anschlag, nachdem man zuvor Helfer in der Gruppe platziert hat? Auch das ist möglich. Es könnte ein spannender Renntag werden.
***** –
**** Tom Pidcock
*** Vingegaard, Pogacar, Ciccone
** Johannessen, Woods, Yates, Skjelmose, Hindley, Bilbao
* Chaves, Pinot, Guerreiro, Martin, Gall, Lafay, Kuss, Martinez, A. Yates
Start: 13:05 Uhr
Ziel: ~ 17:30 Uhr
Die noch anstehenden Etappen der Tour 2023