Mit Jørgen Nordhagen (Jahrgang 2005) hat Visma | Lease a Bike wohl eines der größten Juniorentalente der vergangenen Jahre langfristig an sich gebunden. Für den jungen Norweger geht es 2024 über die kurze Zwischenstation im Development Team dann ab 2025 bis 2027 in die WorldTour.

Wer sich ein wenig mit der Juniorenklasse des Radsport beschäftigt, wird über den Namen Nordhagen bereits vor einiger Zeit gestolpert sein. Als U17 Fahrer holte er 2021 bei der Norwegischen Juniorenrundfahrt Uno-x Tour te Fjells einen Etappensieg gegen die ältere Konkurrenz. Dieses norwegische Talent kündigte sich damit früh an – und das nicht nur auf dem Rad, sondern insbesondere auch als Skilangläufer. Eine interessante Vita, erst Recht in Zeiten ehemaliger Skispringer und Skibergsteiger in der WorldTour.

Anfang 2022 wurde Nordhagen Zweiter der norwegischen Junioren-Meisterschaft im Skilanglauf im Skating. Dazu kamen weitere Topresultate und Siege auf den Skiern. Er beendete die Skisaison Mitte März und fuhr ab Mitte April seine ersten Ergebnisse auf dem Rad ein, darunter dominante Solosiege. Nordhages Verbindung zum Radsport ist wenig verwunderlich. Sein Vater Finn Vegard war Ende der 80er Norwegischer Meister.

Das UCI-Debüt auf der großen Juniorenbühne gab Jørgen Nordhagen im Mai 2022 bei der Friedensfahrt der Junioren – einer der prestigeträchtigsten Rundfahrten im Kalender. Er gewann das Nachwuchstrikot und wurde Dritter der Gesamtwertung. Nur geschlagen von den späteren Welt- und Vizeweltmeistern Herzog & Morgado. Dabei beeindruckte Nordhagen vor allem als Kletterer und konnte gegenüber Topfavorit Herzog auf der Königsetappe immer wieder Lücken reißen, die dieser bergab schließen musste. Das Klettertalent, gekoppelt mit einem bei den Junioren guten Zeitfahren, machten spätestens hier allen Beobachtern klar, dass man es bei Nordhagen wohl mit einem großen GC-Talent zu tun hat.

Schnell auf Ski

Im weiteren Verlauf des Jahres fuhr er noch bei vier weiteren schweren UCI-Rundfahrten in die Top 10, bei zweien davon aufs Podium. Dazu gewann er eine Etappe des GP Rüebliland, wurde nationaler Meister im Zeitfahren, Vizeeuropameister auf der Straße und fuhr in die Top 10 bei der Zeitfahr-WM. Ende des Jahres 2022 wurde sein langfristiger Vertrag mit Jumbo-Visma (Visma | Lease a Bike) bekanntgegeben.
Ab Dezember war er wieder auf den Skiern unterwegs. Als dickes Ausrufezeichen des Winters darf insbesondere sein Achter Platz bei der Nationalen Meisterschaft über 10km Skating bei der Elite gelten. Dort war er als Junior nicht weit entfernt von Läufern aus dem norwegischen Weltcup Team. Bei der Junioren-WM in Whistler wurde er zudem als einer der jüngeren zugelassenen Jahrgänge Sechster.

Nach einem Monat Pause startete er mit einem DNF bei Paris-Roubaix in die Radsaison 2023. Dem folgten kurz darauf zwei Siege bei großen UCI-Rundfahrten, bei denen er insgesamt drei Etappen gewann und sich mit dem Amerikaner Andrew „AJ“ August bei der Friedensfahrt ein großes Duell um den Gesamtsieg lieferte. Im Sommer schaffte er es dann nicht, eine der Rundfahrten, an denen er teilnahm, zu gewinnen, holte sich dafür aber viele Etappensiege. Er verteidigte den nationalen Zeitfahrtitel, verpasste aber aufgrund seiner Sprintschwäche wieder den Titel auf der Straße. Im Zuge der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Glasgow fuhr er in den Niederlanden bei der Watersley Challenge seine von den Ergebnissen her wohl schwächste Rundfahrt als Junior.

Bei den Weltmeisterschaften in Glasgow konnte Nordhagen keine Medaille gewinnen. Im Straßenrennen wurde er Sechster, nachdem er sich für seinen Teamkameraden Ørn-Kristoff, dem der explosive Kurs besser lag, aufgeraucht hatte. Im Zeitfahren wiederum blieb ihm der undankbare vierte Platz. Zum Saisonabschluss zeigte er noch starke Vorstellungen beim bergigen Giro Lunigiana als Gesamtvierter und als Vizeeuropameister im Zeitfahren.

Goldene Zukunft?

Seit seinen ersten Rennen der Juniorenklasse zählt er sowohl auf Skiern als auch auf dem Rad zur Weltspitze. Die Zukunft des jungen Norwegers liegt allerdings auf zwei Rädern, nicht auf Skiiern. Auch wenn er sich vor wenigen Tagen noch bei der Junioren-Ski-WM den Titel im Massenstart über 20 Kilometer souverän holte.
Was kann man nun in der U23 und zukünftig in der Elite von Jørgen Nordhagen erwarten? Es wird wohl ähnlich sein wie bei den Junioren. Insbesondere als Kletterer dürfte Nordhagen keine Probleme haben, sich auf dem neuen Niveau zurecht zu finden. Je länger es bergauf geht, desto besser. Deshalb wird es sehr spannend, ihn bei den großen U23-Rundfahren wie dem Giro Next Gen oder der Tour de l’Avenir zu sehen. 

Mehr Fragezeichen betreffen dann wohl schon sein bei den Junioren sehr gutes Zeitfahren. Hier muss man auch sehen, dass Nordhagen insbesondere im zweiten Jahr schon von Jumbo-Visma ausgestattet war und somit sicherlich einigen seiner bisherigen Konkurrenten gegenüber im Vorteil war. Zudem bringt er mit seinem schmalen und leichten Körperbau eher weniger rohe Kraft mit, was sowohl in der U23, aber insbesondere in der WorldTour, sicher mehr auffallen wird, als noch bei den Junioren. Auch bei Klassikern oder Eintagesrennen sollte man deshalb wohl weniger mit ihm rechnen können, insbesondere wenn diese nicht sehr profiliert sind. 

Man kann ihn als Fahrertyp also eher in der Linie eines Vingegaard einordnen als in der des Allrounders Pogacar. Ob es für ihn tatsächlich bis in die absolute Weltspitze des Straßenradsports reicht, bleibt abzuwarten. In jedem Fall sollte man diesen jungen Norweger nicht aus den Augen lassen.