Rund 150 Tage Corona-Pause. Eine intensive Zeit voller Sorgen und Freude, zwischen organisatorischen Problemen und kreativen Ideen. Am 27. Februar hatten wir unseren letzten Renntag bei der UAE Tour. Damals wussten wir noch nicht, dass es auf den Tag genau fünf Monate dauern würde, bis wir wieder eine Startnummer anbringen.
150 Tage Pause
Vor dem Höhepunkt der Pandemie in Italien haben wir unsere Teambasis am Gardasee geschlossen. Für unsere italienischen Fahrer blieb nur das Hometraining – die Rolle wurde ihr treuer Begleiter. Unsere russischen Fahrer sind in dieser Zeit nach Hause gezogen. Eine Entscheidung, die damals richtig erschien. Aber Wochen später drehte sich das Blatt: Infektionszahlen stiegen an, Trainings- und Reisebeschränkungen bestimmten den Alltag auch in der Heimat.
Während sich in Russland die Pandemie ausbreitete, gab die Entwicklung in Italien Grund zu Optimismus. Ab Anfang Mai durfte dort wieder auf der Straße trainiert werden. Für unser Team, mit russischer Seele und italienischem Herz, waren diese Wochen wegweisend. Der neue Rennkalender bekam Struktur und der Restart war absehbar. In Russland konnten unsere Fahrer nicht optimal trainieren – aufgrund strenger Reisebestimmungen konnten sie aber auch nicht zurück nach Italien. Eine Zwickmühle, die uns über Wochen beschäftigt hielt.

Renat Khamidulin, Team Manager Gazprom-RusVelo (Foto: ©BettiniPhoto)


Ein Neustart mit klarem Kopf

Aber Ende Juni war es soweit: zum ersten Mal nach Monaten trafen sich alle Fahrer und Mitarbeiter wieder in unserer Teambasis. Binnen weniger Tage organisierten wir ein Höhentrainingslager in Livigno. Es blieben drei Wochen intensiver Vorbereitung auf den Neustart. Seit einer Woche läuft die „neue Saison“, mit der Vuelta a Burgos liegen unsere erste Rundfahrt und mit dem neuen Gran Trittico Lombardo unser erster Klassiker bereits hinter uns. Es ist ein Restart zwischen großer Vorfreude und schweren Entscheidungen – drei Beispiele:
#1 WorldTour-Doppelprogramm – ein Luxusproblem
Wir gehören zu den glücklichen Zweitliga-Teams, die eine Reihe von Wildcards zu den WorldTour-Rennen erhalten. Im Laufe einer normalen Saison fahren wir 25 Renntage bei diesen Top-Events zwischen Februar und Oktober. Es sind wahre Saisonhighlights, denn sie bedeuten TV-Präsenz für unsere Sponsoren, wie Gazprom Germania, und unsere jungen Fahrer können sich mit der Weltspitze messen.
Ab dieser Woche stehen 14 WorldTour-Renntage in nur vier Wochen vor uns. Auf dieses Mammutprogramm sind wir stolz und es motiviert das gesamte Team. Mit der Polen-Rundfahrt und Mailand-Sanremo haben wir am Samstag sogar erstmals ein WorldTour-Doppel. Was bei den großen Teams Alltag ist, zwingt uns als kleine Mannschaft zum Improvisieren.

Bereit für große Aufgaben

#2 Restart verschoben – Sicherheit geht vor Euphorie
Unseren Einstieg wollten wir bei der Sibiu Cycling Tour feiern. Im letzten Jahr hat sich das Team Platz 4 in der Gesamtwertung erkämpft und entsprechend groß war die Motivation auf das Comeback. Kurz vor Abflug haben wir die Information bekommen, dass unsere russischen Teammitglieder nicht nach Rumänien fliegen dürfen. Vielleicht sind wir nach unseren Erfahrungen in Abu Dhabi und den russischen Reisebestimmungen sehr sensibel, aber keinesfalls wollten wir den Saisoneinstieg gefährden. Ein unvorstellbares Szenario bei dem Programm, das vor uns liegt. Schweren Herzens mussten wir sehr kurzfristig entscheiden, nicht anzutreten, und erst in Burgos in die Saison zu starten.


In Quarantäne beim Radrennen – eine verrückte Geschichte


 
#3 Talente, Scouting, Stagiares
Seit Jahren halten wir in jeder Saison drei Stagiare-Plätze frei. Doch 2020 macht vieles anders: der Kalender in den kommenden Wochen bietet unseren 20 Fahrern Renneinsätze. Leider ist die Anzahl von Rennen reduziert – auch in Deutschland, der Heimat unseres Hauptsponsors Gazprom Germania, wo leider in dieser Saison alle Straßenrennen ausfallen.
Gazprom-RusVelo hat aber die Philosophie einer Talentschmiede und deswegen bieten wir auch in dieser Situation dem Nachwuchs eine Chance. Jauhen Karaljok kommt zu uns. In Berlin wurde er Anfang des Jahres erneut Weltmeister im Scratch und auch auf der Straße zeigt er Tempohärte. Jauhen ist weißrussischer Meister im Einzelzeitfahren und wird seine Energie bei uns einbringen.
150 Tage Pause liegen hinter uns – rund 80 Tage Saison liegen vor uns. Die Jungs haben enorm trainiert und freuen sich auf die WorldTour-Highlights, die jetzt anstehen. Zeit für Radsport pur.


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Bereit für große Rennen und große Aufgaben