Das Team Bora-hansgrohe landet im Mittelfeld der Teamrangliste – Rang 10 im WorldRanking, noch hinter der Zweitliga-Equipe Lotto-Dstny. Satte sechs Plätze ging es im Vergleich zu 2022 für Bora-hansgrohe im Ranking nach unten. Der deutschen Mannschaft gelang 2023 dennoch eine ordentliche, wenn auch keine gute Saison. Insgesamt 23 Siege gelangen, davon sieben auf WorldTour-Level.
Schwache Klassiker
Der Fokus der deutschen Mannschaft hat sich nach dem Abgang von Peter Sagan verschoben. Die (Pflaster)Klassiker spielen keine große Rolle mehr, der Fokus liegt auf den Etappenrennen. Das ließ sich an den Verpflichtungen erkennen und nun auch an den Ergebnissen deutlich ablesen. Doch selbst wenn die Klassiker weniger Bedeutung für das Team haben, die Auftritte im Frühjahr waren dennoch enttäuschend. Mehr als ein paar Top10-Resultate gelangen nicht, bei den großen Rennen fuhr man hinterher, nahm kaum Einfluss auf die Rennentwicklung. Nils Politt hatte im Frühjahr, wie sehr viele Fahrer im Team, gesundheitliche Probleme, war dann vor dem Highlight Paris-Roubaix krank und ohne Chance auf eine Top-Platzierung. Teamintern wird man sicher genau analysiert haben, was schief lief, auch in Sachen medizinische Betreuung.
In den Ardennen lief es auch nicht viel besser. Das einzige Top10-Resultat fuhr Patrick Konrad bei Lüttich-Bastogne-Lüttich ein – der eigentlich Helfer war, sich in den Dienst des Teams stellte und dann im Finale als „Ersatz-Kapitän“ durchaus stark fuhr. Max Schachmann fehlte nach erneuten gesundheitlichen Rückschlägen, bei Sergio Higuita war nach der Baskenland-Rundfahrt komplett der Wurm für den Rest des Jahres drin. Hindley und Vlasov waren nicht auf Top-Niveau. Das Klassiker-Frühjahr war insgesamt schwach.
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Grand Tours
Für die großen Rundfahrten hatte man nach dem Girosieg 2022 große Ziele formuliert. Doch auch dort lief es nicht nach Plan. Beim Giro musste Kapitän Aleks Vlasov krank das Rennen früh aufgeben. Lennard Kämna fuhr am Ende auf Rang neun der Gesamtwertung – sehr ordentlich für seinen ersten GC-Versuch. Doch die hoch gesteckten Ziele verfehlte man deutlich. Die Bilanz des Teams rettete ausgerechnet Helfer Nico Denz, der gleich zwei Etappen gewann. Beim ersten Etappensieg war er von der sportlichen Leitung nicht als Ausreißer vorgesehen, bekam dann aber seine Chance und nutzte sie herausragend.
Bei der Tour de France lief es für Bora-hansgrohe besser. Jai Hindley gewann die fünfte Etappe und trug für einen Tag das Gelbe Trikot. Der Überraschungssieg von Jordi Meeus am Schlusstag sorgte für ein versöhnliches Ende und eine ordentliche Bilanz beim wichtigsten Rennen. Gesamtrang sieben durch Hindley ist solide, mehr aber nicht.
Vom angestrebten Podium war man auch bei der Vuelta weit weg. Aleks Vlasov biss sich mit gesundheitlichen Problemen durch, landete am Ende auf Rang sieben. Sein jüngerer Teamkollege Cian Uijtdebroeks wurde Achter, sorgte hinterher mit seiner Kritik an den Teamkollegen für Schlagzeilen. Auf die Mannschaft warf dies insgesamt kein gutes Licht. Der Etappensieg von Lennard Kämna war das Highlight der Vuelta und poliert die Bilanz des Team mächtig auf.
Ordentliches Saisonende, spektakuläre Verpflichtung
Bei den italienischen Herbstklassikern konnte Vlasov drei Mal in den Top 6 landen, wurde beim Monument in der Lombardei nach einem guten Rennen Vierter. Ben Zwiehoff wurde bei der Türkei-Rundfahrt Gesamtzweiter, Nico Denz holte einen Etappensieg. Insgesamt ein ordentliches Schlussdrittel der Saison. Doch für die großen Schlagzeilen sorgte die Verpflichtung von Primoz Roglic, der vorzeitig das Team Jumbo-Visma verlässt und sich Bora-hansgrohe anschließt.
Der Traum von Gelb
Die Verpflichtung von Roglic spielt für die Zukunft des Teams eine große Rolle. Man hat nun einen Fahrer, der bei der Tour ums Podium mitfahren kann. Das ganz große Ziel der Teamführung und der Sponsoren ist der Toursieg. Mit Roglic hat man jetzt einen Fahrer, der gezeigt hat, dass er um Gelb mitfahren kann. Top-Ziel für 2024 wird die Tour de France sein, dem wird man wohl alles unterordnen.
Doch nur nach vorn blicken sollte man bei Bora-hansgrohe nicht. Im Jahr 2023 lief zu viel schief, als dass man verklärt vom Toursieg träumen kann. In der Mannschaft rumorte es, nicht nur wegen Uijtdebroeks. Einige Fahrer haben auslaufende Verträge, dazu müssen die bisherigen Kapitäne die neue Rolle an der Seite von Roglic annehmen. Die Teamleitung muss eine Mannschaft formen, die gemeinsam an den hoch gesteckten Zielen arbeitet. Dazu muss man schauen, wie man Fahrer wie Higuita oder Schachmann zurück zu alter Stärke führt.
Verpflichtet wurden neben Roglic auch Bergfahrer Daniel Felipe Martínez, Rouleur Matteo Sobrero und Kletterer Roger Adrià. Dazu die jungen Talente Alexander Hajek, Emil Herzog und Filip Maciejuk. Sprinter Sam Welsford kommt von DSM-firmenich.
Unter den Abgängen sind Routiniers wie Patrick Konrad, Nils Politt und Sam Bennett. Ide Schelling und Matthew Walls verlassen das Team, auch Matteo Fabbro muss gehen.
Hinter dem Team Bora-hansgrohe liegt eine Saison, die den eigenen Ansprüchen nicht genügt. Nach dem Girosieg waren die Ansprüche gestiegen, wollte man nun dauerhaft ganz vorn mitmischen. Vielleicht kam dieser Erfolg doch etwas zu früh – denn so wirkt die Saison 2023 wie ein Schritt zurück. Man gehört zum Mittelfeld der WorldTour, hat ohne echten Top-Sprinter weniger Siege vorzuweisen und konnte mit der schwachen Klassiker-Truppe keine Bäume ausreißen. Bei den Grand Tours ganz vorn mitzuspielen ist gegen Jumbo-Visma und UAE eine fast unlösbare Aufgabe. Doch genau das soll sich nun mit Roglic ändern.
Die Mannschaft Bora-hansgrohe wird wohl alles auf die Tour de France setzen, am Abschneiden bei diesem Rennen wird man sich messen lassen müssen. Doch im Kader steckt insgesamt reichlich Potenzial. Dieses gilt es auszunutzen, dann wird man auch im Ranking wieder nach oben klettern.
Alle „Saisonbilanzen“ der Teams sind hier gesammelt