Einer der ältesten Sprüche im Profiradsport geht so: „Die Fahrer machen das Rennen“. Gemeint ist, dass die Strecke zwar ein Gestaltungsmittel für das große Spektakel ist, die Fahrer aber entscheiden, wie das Rennen läuft und ob tatsächlich ein spektakuläres Rennen entsteht.
Wie viele alte Radsport-Sprüche hat auch dieser seine Berechtigung. Doch die Gestaltung des Parcours bestimmt in großem Maße die Choreografie des Rennens. Enorm viele Dinge sind zu beachten, es geht für die Veranstalter dabei aber nicht nur um sportliche Überlegungen. Die Etappenorte steuern einen erheblichen Anteil des Renn-Budgets bei – da muss die Streckenplanung gegebenenfalls angepasst werden. Auch agiert Veranstalter ASO was den Parcours betrifft mit Weitsicht, wird genau darauf geachtet, welche Regionen Teil der Strecke sind. Durch die TV-Übertragung in viele Länder ist die Tour de France eine große Werbesendung für das wunderschöne Frankreich, dass sein sportliches Prestigeprojekt kräftig unterstützt – auch das spielt natürlich in den Überlegungen der Streckenplaner eine Rolle.
Für die Teams hingegen heißt es einen sportlichen Plan mit größtmöglichem Erfolg zu entwerfen. Für Fans und Medien geht es vor allem um Unterhaltungswert, potenzielle Geschichten und Spektakel. Was bietet die Strecke unter diesen Gesichtspunkten? Ist die Strecke der Tour de France 2024 in Sachen Popcorn und Spektakel mega, oder mau? Hier 5 „Top- und 5 Flop-Argumente“.
Die Strecke der Tour de France ist Top, weil …
- … bereits der Auftakt genial ist. Der Grand Depart in Italien wird ganz sicher spektakulär. Die Fans werden den Sport zelebrieren, das größte Rennen der Welt feiern und ein Ambiente liefern, das ganz sicher beeindruckt. Zudem ist es sportlich ein heftiger Auftakt! Die erste Etappe ist schwer, ein Auf & Ab. Etappe zwei hat im Finale einen schweren Anstieg. Man darf wohl mit zwei Tagen Vollgas-Radsport zum Auftakt rechnen.
- … die erste schwere Alpenetappe am vierten Tag ist! Selten ging es bereits an Tag vier in die ganz hohen Berge. Der Galibier wartet am vierten Renntag – das bietet taktisch viele Möglichkeiten. Kommt es hier schon zum Schlagabtausch der Top-GC-Fahrer? oder holt sich ein „Mann aus der zweiten Reihe“ mit einer mutigen Flucht das Gelbe Trikot und verteidigt es hinterher tapfer bis weit ins Finale der Tour? Nicht unmöglich.
- …. sie wenig Transfers hat. Ein Grand Depart in Italien, dann direkt in die Alpen, rüber in die Pyrenäen und wieder zurück mit dem Finale in Nizza. Ein strammes Programm für drei Wochen Rennen – das aber ohne zusätzlichen Ruhetag und Flugtransfer auskommt. Den Planern ist insgesamt ein Parcours ohne ganz heftige Transfers gelungen. In Zeiten von Klimaschutz und Energiebewusstsein durchaus relevant. Eine moderne Rundfahrt steht diesbezüglich durchaus vor Herausforderungen. Auf der einen Seite gelten lange Teilstücke als unmodern und wenig unterhaltsam, auf der anderen Seite muss auch auf dem Rad „Strecke gemacht“ werden, will man viel von Frankreich zeigen und sowohl Alpen, als auch Pyrenäen ausreichend einbauen. Unter den besonderen Gegebenheiten ist den Planern ein sehr guter Kompromiss gelungen.
- … das große Nizza-Finale großartigen Radsport verspricht. Durch die Olympischen Spiele in Paris wird das große Finale (voraussichtlich) einmalig nach Nizza verlegt. Wenn schon keine Tour d’honeur auf der Champs-Élysées, dann ein richtiges Vollgas-Finale in Nizza. So könnte man die Gedankengänge der Organisation vermuten. Denn die beiden Schlussetappen sind heftig und könnten für ein Spektakel sorgen. Erst die schwere 20. Etappe, dann das schwere Einzelzeitfahren am Schlusstag. Diese zwei Etappen sind so schwer, dass es durchaus möglich ist, dass das Rennen noch einmal eine Wendung nimmt. Selbst mehr als eine Minute Vorsprung kann sehr schnell verloren sein, gerät man in Schwierigkeiten oder erholt sich der Körper nicht mehr ausreichend. Geht es am letzten Tag tatsächlich noch um jede Sekunde im Kampf um Gelb, könnte es ein dramatischer Schlusstag werden. Erinnerungen an den Krimi von 1989, als Greg LeMond mit acht Sekunden Vorsprung vor Laurent Fignon gewann, würde man auf Seiten der Organisation sicher gern wecken.
- … das Rennen eine klar Struktur hat. Früh geht es in Sachen GC zur Sache, dann bekommen die Sprinter eine Chance. Doch diese können vor der Schlusswoche die Heimreise antreten, denn das Schlussdrittel dieser Tour ist gemacht für die Kletterer und den Kampf um Gelb. Dennoch gibt es insgesamt 7 potenzielle Sprintchancen. Auch wenn die Struktur des Rennens klar ist, lauern mit der Gravel-Etappe und dem Zentralmassig-Teilstück auch in Sachen Gesamtklassement gefährliche Abschnitte.